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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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dieses Versprechen niemals halten. Und du hast mir den Heolin versprochen. Aber offenbar bist du zu schwach, um selbst dieses kleinere Versprechen zu erfüllen.« Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »Du wirst wohl nicht erwarten, dass ich dich nach Wastu begleite, oder?«
    Awin schwieg. Eigentlich hatte er sich genau das erhofft. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Merege gar keinen Grund mehr hatte, bei ihnen zu bleiben. Der Lichtstein war fort. »Aber wo willst du hin?«, fragte er rau.
    »Die Viramatai senden immer wieder Karawanen in das Reich der Akkesch. Von dort werde ich einen Weg in meine Heimat finden.«
    »Aber die ist weit fort!«, rief Awin.
    »Und doch ist es meine Heimat. Senis hat mir geraten, die Welt anzusehen, die ich am Skroltor bald verteidigen muss. Hätte sie gewusst, was ich in dieser Welt vorfinde, hätte sie mir sicher nicht dazu geraten.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand.

    Awin sah ihr bestürzt nach. Sie wollte seinen Sger verlassen? An diese Möglichkeit hatte er einfach nicht gedacht. Sie wirkte so verletzt und verloren. Das schmerzte mehr als ihre Vorwürfe. Er hatte sich selbst schon oft genug Vorhaltungen gemacht, dass er den Lichtstein verloren hatte, aber der Heolin war nun in Tiugar, der Verborgenen Stadt. Ohne Zweifel würde er gut bewacht sein, und ohne die Kariwa hatten sie keine Möglichkeit … Awins Gedanken stockten. Dann sprang er auf und rannte Merege hinterher. Er holte sie am Fuß des Felsens ein, wo sie vor einer Ulme stand und diese anblickte, als sähe sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Baum. Eine Taube gurrte in den Ästen.
    »Der Lichtstein!«, rief er aufgeregt. »Wir können ihn jetzt zurückholen!«
    Merege drehte sich nicht um.
    »Ich meine«, fuhr Awin verunsichert fort, »wenn wir ungesehen nach Tiugar und in die Nähe des Heolins gelangen, dann könntest du uns doch mit Zauberkraft den Weg bahnen. Und besser noch, du kannst uns mit einem Sprung von dort fortbringen, bevor …«
    Awin verstummte. Jetzt sah ihn die Kariwa an, und in ihren Augen flammte Zorn auf. Es war ein kurzer, finsterer Blick, dann klärten sich ihre Augen zu jenem sehr hellen Blau, das ihnen sonst zu eigen war. Ganz ruhig erwiderte sie: »Ich weiß nicht, ob ich noch zu zaubern vermag, Awin, aber ich weiß, dass ich es nicht mehr tun werde.«
    »Du weißt nicht, ob du noch zaubern kannst?«, fragte Awin verunsichert.
    »Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, Hakul«, erklärte Merege kalt, »aber du weißt, dass ich unter dem Zeichen von Uos Sichel lebe.« Sie stockte, und Awins Blick richtete sich wie von selbst auf die schwarze, sichelförmige Tätowierung über
ihrem Jochbein. Es war, so hatte sie es ihm einmal erklärt, das Abbild eines Sternzeichens - Uos Sichel. »Ihn rufe ich an, wenn ich Kraft brauche«, fuhr Merege fort. »Stets verlieh er mir Kraft, doch dieses Mal erschien er selbst. Ich habe dem Totengott ins Antlitz gesehen - und das will ich nie wieder tun.« Dann ging sie zwischen den Bäumen langsam davon und ließ einen betroffenen Awin zurück.
     
    Im Grunde genommen hätten die Hakul noch am selben Tag aufbrechen können. Sie besaßen nicht viel mehr als das, was sie auf der Haut trugen, und ihre Pferde scharrten schon ungeduldig mit den Hufen, als wüssten sie, dass der Aufbruch nun unmittelbar bevorstand. Doch Awin zögerte ihre Abreise hinaus, bedeutete sie doch, dass Merege sich von ihnen trennen würde. Prawani Kalya hatte ihnen vierzehn Tage Frist eingeräumt, und sie bestand zu Awins Erleichterung auch darauf, erst durch ihre Späher die Ebene auszukundschaften, denn sie befürchtete, Eri könne Awins Klan eine Falle stellen. Auch suchte sie einige Ussar und Viramatai aus, die sie bis Wastu begleiten sollten. So verschob sich ihr Aufbruch immerhin um einige Tage - Tage, die Awin mit einer eigentümlichen Mischung aus Verzagtheit und zunehmender Ungeduld ertrug, denn wenn er nichts zu tun hatte, kam die Erinnerung wieder. Die Erinnerung an seine Begegnung mit Uqib, dem Seelenverweser, und den Zoll, den er verlangt hatte.
    Awin versuchte drei Nächte nach seiner Wiederkehr, in seiner Kammer erneut eine Reise des Geistes zu beginnen. Es gelang ihm jedoch nicht. Er kam nicht einmal in jenen schwarzen Raum der Flüsterstimmen. Selbst Curru, seinem alten Lehrer, der nicht viel von einem wahren Seher hatte, war es doch gelungen, mit Hilfe des Rituals diese Reise anzutreten - und Awin nicht, nie wieder? Aber so war es, und seine

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