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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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bislang hatte sie sich einfach nicht entscheiden können - oder wollen. Awin hatte seiner Schwester
schon zweimal deswegen ins Gewissen geredet. »Aber was soll ich machen, Bruder?«, hatte sie einmal geantwortet. »Immer, wenn ich mich fast für den einen entschieden habe, kommt der andere und beeindruckt mein Herz.«
    Er konnte ihr eigentlich keinen Vorwurf machen. Gunwa hatte Schlimmes durchgestanden. Slahan hatte sie, wie so viele andere Hakul, verschleppt. Und auch, wenn sie sich an nichts von dem erinnern konnte, was in dieser Zeit geschehen war, so wurde sie doch immer noch von furchtbaren Albträumen gequält und erwachte gelegentlich mitten in der Nacht, schreiend vor Entsetzen. Awin hatte gehofft, dass die Zuwendung, die sie von ihren beiden Verehrern erfuhr, die bösen Träume lindern würde, aber das war bislang nicht geschehen.
    »Und was tun wir jetzt?«, fragte Tuge, als die Reiter unten in der Ebene endlich hinter einem Wäldchen ihren Blicken entschwunden waren.
    »Wir bereiten unsere Abreise vor, was sonst? Vielleicht wird es sogar höchste Zeit, dass wir diese Festung verlassen. Mir fehlen die weite Steppe und der Wind im Gesicht, wenn ich mit einem guten Pferd über das grüne Gras galoppiere.«
    »Und du glaubst, das finden wir in Wastu?«, fragte Tuge mit zweifelndem Blick.
    Awin seufzte. »Nein, natürlich nicht. Aber wenigstens sind wir wieder für ein paar Tage im Sattel. Und es ist nicht gesagt, dass unsere Reise in dieser Stadt endet.«
    »Das klingt für mich, als hättest du einen Plan, Yaman«, sagte der Bogner gedehnt.
    Awin schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht, Tuge. Du kannst mir glauben, ich würde gerne nach Tiugar gehen und Eri diesen Kriegszug ausreden. Das alles wird viel Blut kosten. Und ich verstehe da etwas nicht, Tuge. Du kennst Eri. Er ist tapfer, aber sprunghaft und unstet. Nie hätte ich ihm zugetraut, dass
er so etwas Großes über einen so langen Zeitraum plant. Drei Jahre? Das sieht ihm einfach nicht ähnlich. Du kennst ihn doch noch besser als ich. Früher, als wir zusammen unter Führung seines Vaters im Klan der Berge ritten, da reichten seine Gedanken doch nicht viel weiter als bis zu den Nüstern seines Pferdes.«
    »Wohl wahr«, antwortete der Bogner mit einem flüchtigen Grinsen. »Fürchtest du, dass er unsere Brüder in eine Niederlage führt? Er kann sehr viele Hakul zu den Lanzen rufen. Mehr als jeder andere Fürst vor ihm - seit den Tagen von Etys.«
    »Eine Niederlage? Nein. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich fürchte viel eher, dass er siegt«, gab Awin zur Antwort.
     
    Später an diesem Tag fand er endlich Gelegenheit, mit Merege zu sprechen. Er rechnete mit Vorwürfen wegen des Lichtsteins, und er versuchte, ihr zu erklären, wie Eri den Stein geraubt hatte, und dass sie ihn nicht zurückholen konnten. Als sie daraufhin nur nickte, erzählte er ihr, was noch alles geschehen war seit der Schlacht um die Festung, aber sie schien ihm kaum zuzuhören. Sie wirkte noch abwesender als früher. Awin verstummte. Eine Weile schwiegen sie beide. Awin erschien Mereges Kammer, in der sie saßen, auf einmal klein und bedrückend. Sie erinnerte ihn an die Grube, in der er auf seiner Reise in Uos Reich beinahe begraben worden wäre.
    »Warum hast du mich zurückgeholt, Awin?«, fragte Merege leise.
    Awin starrte sie verständnislos an. »Warum? Du warst weder tot noch lebendig. Deine Seele war fort, aber dein Körper unversehrt. Du konntest nicht bleiben, wo du warst.«
    »Es war friedlich dort«, stellte Merege fest.
    »Aber hier ist doch auch Frieden«, widersprach Awin heftig. Ihm fiel erst jetzt auf, dass sie sich gar nicht bei ihm für ihre Rettung bedankt hatte.

    »Du verstehst nicht, was wahrer Friede bedeutet, Awin. Hier herrschen Streit und Feindseligkeit. Die Viramatai misstrauen den Hakul, selbst euch, und sie sind froh, wenn ihr bald geht. Und dieser Frieden, von dem jetzt alle reden, wird nur geschlossen, damit anderswo Krieg sein kann, das hast du selbst gesagt. Alles ist verworren und unklar. Dort war alles klar und einfach.«
    »Dort war alles grau und kalt! Das war, was ich gesehen habe, Merege, und auch deshalb habe ich dich dort fortgeholt. Es mag sein, dass es dort friedlich ist, aber für dich ist dieser Ort noch nicht bestimmt. Er gehört den Toten.«
    »Den Toten«, echote Merege nachdenklich, stand auf und schritt zur schmalen Tür. Sie drehte sich noch einmal um. »Du hast mir Frieden versprochen, aber in dieser Welt kannst du

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