Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
versperrt. Aber das wusstet ihr doch schon, oder? Warum wolltet ihr sonst über die Brücke von Borre?«
»Man hat uns Ähnliches berichtet, doch kann es nicht schaden, einen erfahrenen Hakul zu fragen, der dieses Land gut kennt, oder?«, meinte Awin höflich und folgerte: »Also müssen wir durch den Femewald, mag es dort nun Geister geben oder nicht.«
»Es gibt sie, in großer Zahl«, bekräftigte Jeswin, »dafür fehlt es an Wegen, und das dichte Dach dieses Waldes verhindert, dass sich ein Reiter nach Sonne oder Sternen richten kann.«
»So warst du also auch schon im Femewald?«, fragte Awin. Der Yaman blickte ihn erschrocken an: »Bei Mareket, ich bin doch nicht verrückt! Doch kenne ich einen Hakul, dessen Bruder dort verschwand. Und auch die Händler erzählen schlimme Geschichten über den Wald.« Jeswin beugte sich vor und flüsterte: »Er soll unter dem Schutz einer mächtigen Waldskrole stehen, heißt es.«
»Und du kennst einen Hakul, der diese Alfskrole gesehen hat?«
»Nein, aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Es heißt, die Nebelmenschen verehren sie als Göttin.«
Awin seufzte, dann sagte er: »Wenn sie verehrt wird, tötet sie also nicht alle Menschen, oder?«
Jeswin starrte ihn nachdenklich an, sagte aber nichts. Also hakte Awin nach: »Ist sie denn schlimmer als Suog, der böse Geist des Grünlands, von dem du mir erzählt hast? Der hat uns bislang jedenfalls nichts getan, oder? Jedes Land hat seine Geister, Jeswin, aber nicht alle sind von Übel. Wir werden dem Wald mit Achtung begegnen und versuchen, die Wesen, die dort leben, nicht zu beleidigen.«
Jeswin runzelte die Stirn, aber dann schüttelte er lachend den Kopf und rief: »Du verstehst es, einem Mann die Gedanken im Kopf herumzudrehen, Yaman Awin. Ich glaube, wenn ich noch ein wenig mit dir plaudere, werde ich all meine Bedenken vergessen und fröhlich singend in diesen Wald hineinreiten. Du bist ein gefährlicher Mann, Awin von den Dornen, ein sehr gefährlicher Mann.«
Gegen Morgengrauen wurde Awin von Mahuk Raschtar geweckt. »Da sind Stimmen im Wald. Sie flüstern, sie warnen.«
»Warnen?«, fragte Awin schlaftrunken. Die Nächte in diesem Land waren einfach zu kurz.
»Vor uns. Sagen, dass wir nach Norden gehen.«
Jetzt war Awin wach. »Was sind das für Stimmen, Mahuk?«
»Leise Stimmen. Menschen, sagt Yeku, aber vielleicht auch Ahngeister.«
»Sagt er auch etwas über einen Weg, den wir nehmen könnten?«, fragte Awin und unterdrückte ein Gähnen.
Mahuk schüttelte den Kopf. »Kein Weg. Nur eine Spinne im Netz, die auf uns wartet. Yeku freut sich auf den Wald.«
»Und sagt dieser Stock auch, was für eine Spinne das sein soll?«
»Nein, Yaman. Er lacht. Weil Hakul so dumm sind. In Wald hineingehen.«
Awin starrte zu Boden. Ein Vogel kündigte mit schwermütigem Flöten den Morgen an. »Sag den anderen vorerst nichts, Mahuk. Unser Weg führt nun einmal dort hinein, und sie sollen sich nicht mehr beunruhigen, als unbedingt nötig.«
Mahuk nickte und verschwand im Wald, seine große Tasche hing über der Schulter. Vielleicht sucht er Kräuter, vielleicht lauscht er dem, was die Bäume sagen , dachte Awin. Es ist gut, ihn dabeizuhaben, so kennt sich wenigstens einer von uns in Wäldern aus. Er sah einige der Roten Hakul am Feuer stehen. Ihr Yaman war unter ihnen und redete auf sie ein. Die Krieger sahen nicht sehr begeistert aus.
Lange vor Sonnenaufgang brachen sie auf.
»Wohin jetzt, Yaman Awin?«, fragte Jeswin.
»Ihr begleitet uns also?«, fragte Awin.
»Ich habe mit meinen Männern geredet. Ich bin der Yaman, und sie folgen mir, wenn ich es befehle, so wie dir auch deine Gefährten folgen, doch hier kann ich ihnen nichts befehlen. Dieser Wald ist verflucht, das wissen sie. Ihre Mütter haben
es ihnen schon in der Wiege erzählt, ihre Väter, als sie ihnen das Reiten beibrachten, ihre älteren Brüder, wenn sie von den Beutezügen zurückkehrten. Kein Hakul meines Stammes hat den Femewald je freiwillig betreten. Also habe ich ihnen gesagt, dass sie heimkehren können, ich habe ihnen aber auch gesagt, wie viel Ruhm auf der anderen Seite des Waldes auf sie wartet, so wie du es gestern Abend zu mir sagtest. Sie haben sich für den Ruhm entschieden, allesamt, und das erfüllt mich mit Stolz.« Jeswin legte eine Hand auf Awins Arm und senkte seine Stimme. »Ich weiß jedoch sehr wohl, dass nicht alle von uns diesen Ruhm erleben werden, und dass nicht Ehre, sondern vor allem Tod und Verderben in diesem
Weitere Kostenlose Bücher