Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Windskrole verbittert. »Einst war Liebe zwischen Xlifara und mir, doch als Fahs sie verbannte, änderte sich alles. Nun ist sie fort, und es ist nur Leere geblieben. Wie kann ein Mensch nur denken, dass ein Sterblicher groß genug wäre, dieses Loch zu füllen?«
Awin wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Diese Offenheit sah Isparra nicht ähnlich.
»Du trägst ein neues Gewand, wo hast du es her?«, fragte Merege plötzlich.
Auch wenn Awin froh über diese Ablenkung war, war ihm nicht klar, was die Kariwa mit dieser Frage bezweckte.
»Uo hat hier ein Festmahl gefeiert. Das Land ist übersät mit den toten Gästen seiner finsteren Tafel. Einem davon nahm ich dieses Gewand. Und einer von euch sollte mir sein Pferd überlassen.«
»Wenn du keinen Weg durch die Verteidiger für uns schaffst, wird dir ein Pferd nichts nutzen, denn der einzige Weg über diesen Fluss führt über jene Brücke«, versuchte Awin es erneut.
»Ich sagte nicht, dass ich den Weg nicht bahnen kann, doch
steht er euch nicht offen, Hakul. Viele Menschen sind dort gestorben, und ich müsste noch mehr töten, um euch hinüberzubringen. Das …« Sie stockte, bevor sie fortfuhr: »Das will ich nicht.«
»So weißt du einen anderen Weg für uns? Du sprichst mit den Winden. Haben sie dir keinen anderen Pfad verraten?«
Isparra sah ihn nicht einmal an, als sie sagte: »Dieser Fluss fließt nach Norden. Ihr könnt ihm auf diesem Ufer folgen. Ich aber will den schnelleren Weg wählen, denn dann werde ich meine Geschwister einholen und sie bezahlen lassen für ihren Verrat. Also gib mir dein Pferd, Hakul.«
Awin schüttelte den Kopf. Ein schneidend kalter Wind kam auf.
»Ich frage dich nicht noch einmal, Mensch.«
»Meine Antwort wäre die gleiche, Isparra. Mein Pferd will dich nicht tragen, und ich werde es nicht hergeben.«
Isparra stieß ein scharfes Zischen aus. Awins Pferd bäumte sich erschrocken auf und stellte sich auf die Hinterbeine. Awin benötigte all sein Geschick, um sich im Sattel zu halten. Auch Mereges Ross scheute und trug sie wild ausschlagend davon. Ein erneutes Zischen durchschnitt die Luft. Awin hatte das Gefühl, plötzlich Eis zu atmen. Sein Brauner bockte, taumelte zur Seite - und stürzte. Awin sprang ab, um von seinem Tier nicht überrollt zu werden. Als er sich wieder aufrappelte, saß Isparra schon im Sattel, und mit einem lauten Schrei schoss sie davon, auf den Holzwall zu. Sie breitete die Arme aus, schrie wieder, und eine Staubwolke erhob sich, folgte ihr, überholte, umhüllte und verbarg sie. Sie schrie abermals, durchdringend und schrill, und entsetzte Rufe aus der Stadt antworteten ihr. Rasend schnell hielt die Wolke auf die Lücke im Wall zu. Awin sah viele Männer, die sich dort gesammelt hatten - vermutlich, um einen möglichen Angriff
der Hakul zurückzuschlagen - und er sah, wie sie ihre Schilde und langen Speere wegwarfen und davonrannten. Aber nicht alle Akradhai verloren die Nerven. Auf den Türmen waren Bogenschützen, und sie sandten Pfeile in die heranstürmende Staubwolke. Plötzlich ertönte wieder ein markerschütternder Schrei, doch der kam nicht von Isparra. Awin kannte den Klang, es war der Schrei eines verwundeten Pferdes. Die Schleier aus Staub, die Isparra gewoben hatte, stockten, verharrten auf der Stelle. Die Verteidiger des Walles kamen wieder zur Besinnung. Sie blieben stehen, hoben ihre Waffen auf, rückten hinter ihren Schilden zusammen und reckten die Hälse, um zu sehen, was geschehen war. Plötzlich brach das Pferd aus der Staubwolke hervor. Sein schmerzerfülltes Wiehern zerriss Awin das Herz. Ein gefiederter Pfeil ragte aus seiner Kruppe. Wild ausschlagend stürmte es über die Ebene, dem Wald zu. Awin sah, dass Merege, die ihr eigenes Pferd wieder im Griff hatte, ihm nachjagte.
»Stellt euch mir nicht in den Weg, Menschen«, zischte eine Stimme.
Sie jagte Awin einen Schauer über den Rücken, denn er hatte wieder das Gefühl, dass die Sprecherin ihm ins Ohr flüsterte, dabei erhob sie sich gerade unweit der Mauer aus dem Staub. Langsam schritt sie voran. Ein einzelner Pfeil kam geflogen. Isparra hob die Hand, und der Pfeil fiel weit von ihr entfernt kraftlos zu Boden.
»Ich bin Isparra die Zerstörerin, Dienerin und Gefährtin Xlifara Slahans. Ich habe Festungen geschleift und ganze Heere vernichtet. Stellt euch mir nicht in den Weg«, flüsterte sie, und Awin wusste, dass vermutlich jeder in der Stadt und auch noch die Hakul auf dem Hügel sie hören und verstehen
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