Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Wald und jenseits davon auf uns warten, Yaman Awin.«
»Und dennoch hast du deine Krieger überzeugt, uns zu begleiten?«, fragte Awin.
»Natürlich. Wäre es nicht das Ende der Welt, wenn der Tiudhan sein Ziel erreicht? Das hast du jedenfalls gesagt, und ich halte dich für ehrlich, auch wenn du trotz deiner jungen Jahre schon verstanden hast, dass ein Yaman nicht immer und jederzeit die Wahrheit aussprechen kann. Aber lass uns ein anderes Mal darüber reden. Unsere Krieger warten schon darauf, dass wir ihnen endlich sagen, wohin es gehen soll. Also?«
»Wir reiten zum Fluss und folgen ihm nach Norden, so weit es geht. Vielleicht finden wir doch einen Weg hinüber, wenn nicht, werden wir uns einen Weg in diesen Wald hinein suchen - oder ihn uns selbst bahnen, wenn es sein muss!«
Der Fluss war schnell erreicht. Sie sahen vereinzelt verkohlte Baumstämme, die ans Ufer geschwemmt worden waren, und in der Luft lag immer noch der Geruch von verbranntem Holz, denn die Stadt war nicht weit. Awin blickte hinab in die Jurma. Sie war breiter als in Borre, die Ufer waren
steil, und das Wasser strömte reißend schnell dahin. Er sah ein, dass eine Überquerung nicht möglich war. Also folgten sie dem Strom. Bald waren sie gezwungen, das Ufer zu verlassen, denn dichte Waldstücke drängten sich bis an den Fluss. Die Waldgebiete wurden ausgedehnter, die Schneisen zwischen ihnen schmaler. Awin fand sie bedrückend, er mochte Wälder einfach nicht. Sie stießen auf eine breite Rodung, die tief in den Wald hineinlief. Awin betrachtete die vielen abgehauenen Stümpfe. Einige frisch geschlagene Stämme lagen noch dort, wo sie gefällt worden waren. Die Akradhai schienen den Kampf mit diesem finsteren Wald aufgenommen zu haben. Sie würden jedoch einen langen Atem brauchen, wenn sie ihn besiegen wollten.
»Gutes Holz, alte Bäume. Buchen, gerade gewachsen«, meinte Mahuk.
Am Waldrand stand einer der hölzernen Ahngeister und starrte sie aus aufgemalten Augen durchdringend an. Auch er war aus einem einzigen Stamm geschnitzt worden, eine hockende Gestalt mit zu großem Kopf und düsterer Miene. Tuge drängte zur Eile. Sie folgten der Rodung, die immer schmaler wurde und schließlich in einen ausgetretenen Pfad mündete. Awin drehte sich um. Die lange Reihe der Reiter folgte ihm. Der letzte wurde noch von der Sonne beschienen, doch jetzt verschluckte auch ihn der Wald.
»Hier gehen viele Ochsen, schleppen Bäume«, erklärte Mahuk, der jetzt voranritt, weil Awin und Jeswin stillschweigend übereingekommen waren, ihm die Führung zu überlassen. Der Pfad wurde immer schmaler. Bald konnten sie nicht mehr in Zweierreihe reiten, und kurz darauf mussten sie absteigen und ihre Pferde am Halfter führen. Die Sonne warf lange Strahlen durchs dichte Geäst. Es würde ein warmer Tag werden. Awin rieb sich den Schweiß aus dem Nacken und stapfte
weiter über den unebenen Waldboden. Dann blieb Mahuk stehen. »Ochsenpfad endet hier. Doch Wild geht weiter. Wir folgen ihm.«
Tatsächlich war da ein schmaler Weg zu erahnen, der sich zwischen den hochgewachsenen Baumstämmen hindurchschlängelte. Das Blätterdach wurde immer dichter, und je weiter sie in den Wald vordrangen, desto abgestandener und modriger roch die Luft. Bald war nicht mehr zu erkennen, ob über dem Wald die Sonne schien oder Wolken aufgezogen waren. Die Männer waren still. Awin wusste, dass sie sich in diesem Wald ähnlich unwohl fühlten wie er selbst. Mahuk blieb plötzlich stehen.
»Was gibt es?«, rief Awin leise.
»In der Nähe fließt Wasser. Das ist gut. Weiter«, antwortete der Raschtar.
Bald darauf hörte auch Awin das gedämpfte Murmeln eines Baches.
Es war ein schmales Rinnsal, das über bemooste Steine lief. Sie tränkten die Pferde und berieten über den weiteren Weg.
»Wir sollten dem Bach folgen, so sind wir wenigstens sicher, dass wir nicht im Kreis gehen«, schlug Jeswin vor.
Mahuk schnaubte verächtlich. »Ussar kennen den Wald. Gehen nicht im Kreis. Wir folgen dem Wild. Bach endet irgendwo am Fluss. Wild findet immer einen Weg.«
Awin stimmte dem Vorschlag zu, und bald zogen sie schweigend weiter. Es war fast nur das Stampfen der Hufe auf dem Waldboden zu hören, dazu das leise Klirren der Waffen, das Knarren von Zaumzeug und das gelegentliche Schnauben eines Pferdes. Darüber lag das leichte Rauschen des Blätterdaches. Der Wind schien mit den Wipfeln zu spielen, doch er drang nicht bis zu ihnen durch. Es wurde bald schwieriger, dem Wildpfad zu
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