Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
präsentierte. Aha. Haben wir da einen wunden Punkt getroffen?
    » es ist nicht scheissegal !«, schrie ich zurück. »Die Meute da draußen heult förmlich nach einem neuen Führer, und schon heute Abend kann ein noch größerer Schweinehund in die Fußstapfen von Julius Avellino treten, und wenn der Rat nur einen Funken Verstand hat, dann kauft er einen und lässt ihn sich hinstellen und statt über die Deutschen über die Juden herziehen, und während die Schafherde auf dem Marktplatz überall hinläuft, wohin der lauteste Schreier sie treibt und die Dinge für die deutschen Patrizier sich wieder beruhigen, werden im judenviertel die häuser brennen und frauen und kinder auf der strasse erschlagen werden! egal, ob ihr name mojzesz fiszel oder samuel ben lemel ist – der mob wird alle in stücke reissen! und jetzt sag mir nochmal, was wichtiger ist: die frage zu klären, ob jana einen an deren liebt, oder der versuch, ein blutbad zu verhindern !«
    Daniel sprang auf, aber bevor er antworten konnte, hörten wir es beide: hastige Schritte, die über den Holzboden vor dem Saal über den Gang flohen. Wir sahen uns an. Einen Momentlang erkannte ich in seiner Verblüffung mein eigenes Gesicht. Ich strampelte mich von der Sitzbank frei.
    »Jana!«, rief ich und stürzte nach draußen. »Jana, warte!«

    Ich hörte keine Schritte mehr. Daniel kam hinter mir aus dem Saal und sah sich um. Ich sprang zu einem der Fenster und spähte in den Innenhof hinab. Leer.
    »Sie ist noch hier«, sagte ich und hob die Stimme: »Jana, bitte!« Ich kannte das Haus seit Jahren, aber zum ersten Mal empfand ich, dass meine Stimme darin hallte wie die eines Fremden. Weiter vorn öffnete sich eine Tür, und jemand von den Dienstboten streckte seinen Kopf heraus, sah Daniel und mich, schlug die Augen nieder und zog sich wieder zurück. Unten an der Treppe unterbrachen zwei Stimmen ein halblautes Gespräch, lauschten zu uns herauf und setzten es wieder fort. Ich weiß nicht genau, was ich in diesen Augenblicken fühlte: Ärger wegen dieses Versteckspiels, Scham darüber, meine Anschuldigungen gegen Jana so herausgebrüllt zu haben, Furcht, Jana nun endgültig in Miechowitas Arme getrieben zu haben …? Ich marschierte mit langen Schritten den Gang hinunter, zu unserer Schlafzimmertür, Daniel auf den Fersen, den ein Antrieb, den ich mir nicht erklären konnte
    – erklären wollte, denn im Herzen war mir bewusst, dass er, als er beschlossen hatte, seinem Vater zuzuhören, auch beschlossen hatte, die Geschichte bis zum Ende durchzustehen –
    an meiner Seite verbleiben ließ. Ich öffnete die Tür und stapfte hinein. Das Schlafzimmer war leer; ich hatte es nicht anders erwartet. Ich hatte keine Tür gehört, dennoch war ich sicher, dass Jana in ihren kleinen Raum geflohen war, meine Beschuldigung in den Ohren gellend: … einen anderen liebt, einen anderen liebt …! Ich zögerte nur so lange mit der Hand an der Türklinke, wie mein Herz brauchte, einen verfehlten Schlag nachzuholen, dann drückte ich sie hinunter und öffnete die Tür.
    Der kleine Raum duftete schwach nach Janas Parfüm – Äpfel.Ich kannte den Duft seit Jahren. Erst jetzt fiel er mir wieder auf, obwohl ich so viele Male in diesem Raum gewesen war; erst jetzt, da er so leer war wie das Schlafzimmer und Daniel und ich ratlos im Türrahmen standen und hineinspähten. Jenseits der Trennwand lag Paolos Zimmer; dumpf hörte ich von dort, wie seine Kinderfrau, die sich mit ihm hingelegt hatte, sich umdrehte und lachend: »Paolo, wo hast du dich versteckt?« rief, und war einen Herzschlag lang erleichtert, dass der Kleine die Aufregung der letzten Minuten nicht mitbekommen hatte. Ich schloss die Tür wieder und drehte mich um.
    Jana und Sabina standen in der Eingangstür des Schlafzimmers. Das Licht der Gangfenster fiel in ihren Rücken und ließ ihre Gesichter dunkel erscheinen, aber ich konnte erkennen, dass Jana geweint hatte. Sabina machte ein grimmiges Gesicht.
    »Ich dachte, du bist bei Miechowita«, sagte ich das Erste, das mir einfiel.
    »Ich wollte, doch dann …« Jana machte eine hilflose Geste zu Sabina.
    Es war eine merkwürdig verkehrte Situation. Daniel und ich standen Seite an Seite im Schlafzimmer, als seien wir Verbündete, die wir in Wirklichkeit nicht waren. Janas und Sabinas Schultern berührten sich, wie sie im Türrahmen der Schlafzimmertür standen. Hier die Männer, dort die Frauen. In Wahrheit hätte ich allein auf meiner Seite stehen müssen, das hätte die

Weitere Kostenlose Bücher