Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
um Ihre Angelegenheiten, nicht wahr, Vater?«
    »Wann hat es das nicht getan?«, fragte ich mit tauben Lippen.
    »Es ist egal, was man verliert, solange man den Glauben an Gott und an sich selbst nicht verliert.«
    Ich starrte ihn an.
    »Weise Worte«, sagte er. »Sie stammen nicht von mir.«
    »Sondern von einem Idioten, der nicht wusste, wovon er sprach.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Sie stammen von Ihnen. Zugegebenermaßen aus der Zeit, bevor Mutter starb.«
    »Daniel …«, sagte ich und brach ab.
    »Ich wollte nicht hierher kommen«, erklärte er. »Sabina wollte – vom ersten Augenblick an. Sie hat mich nicht mehr in Ruhe gelassen, bis ich zusagte. Es gab eine Zeit, da kam jede Woche ein Bündel Briefe von ihr. Sie muss den nächsten geschrieben haben, bevor noch das Siegel am ersten trocken war. Ich dachte ein paar Mal, ich will verdammt sein, wenn ich weiß, wie sie nur so oft einen Handelstreck von Donauwörth nach Landshut findet, dem sie die Briefe mitgibt.« Er seufzte. »Wenn das nicht gewesen wäre, säße ich nicht hier.«
    »Es tut mir Leid, dass deine schlimmsten Erwartungen noch übertroffen werden.«
    »Darum geht es nicht. Ich dachte nur, Sie haben hier in Krakau eine neue Familie gefunden, und dass es nicht gut sein könne, zurückzublicken – oder den Versuch zu unternehmen, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden. Manchmal soll man Dinge ruhen lassen. Deswegen wünschte ich mir, in Landshut zu bleiben.«
    »Ohne die Vergangenheit gibt es keine Zukunft.«
    Er achtete nicht auf mich. »Wissen Sie, ganz egal, ob Sabina, Maria oder ich – wir alle hatten Angst, dass Ihre Trauer nach Mutters Tod irgendwie unsere Schuld war. Und als Sie uns keine Chance gegeben haben, mit Ihnen zusammen zu trauern, da waren wir überzeugt, dass nicht nur Mutters Tod, sondern auch Ihre Traurigkeit von uns verschuldet waren. Ich wollte auf gar keinen Fall wieder daran schuld sein, wenn in Ihrem Leben etwas schief ging … und ich fürchtete, der Versuch, Ihr altes Leben, Ihre alte Familie mit Ihrer neuen zusammenzubringen, würde alles scheitern lassen.«
    Ich sah ihn an und fand keine Worte. In meinem Inneren kämpfte der Drang, diesen großen, kräftigen, jungen Mann, den ich immer noch weniger deutlich sehen konnte als den kleinen Jungen, der an meiner Hand durch den Obstgarten hinter meinem Haus geschwankt war und der in diesem Männerkörper steckte, in den Arm zu nehmen. Ich blieb reglos sitzen.
    »Jetzt sehe ich Ihnen zu, wie Sie fürchten, dass tatsächlich alles in Scherben geht … und wenn ich schon mal da bin, kann ich mich vielleicht nützlich machen. Damals konnte ich es nicht. Wir alle konnten es nicht. Maria ist nicht hier, aber wollen Sie, dass ich Sabina wecke? Wollen Sie mit uns reden?«
    »Lass Sabina schlafen«, sagte ich.
    Daniel atmete ein. In der Ecke hörte ich, wie Julia den Deckel der Truhe schloss und Sabinas Kleider zusammensammelte. Das Haus ächzte in der Stille des Nachmittags. Vom Innenhof herauftönte der Schritt eines Menschen. Ich brauchte nicht einmal hinzuhören, um zu wissen, dass es nicht Jana war. Die Atmosphäre war die eines Klosters … wohin man geht, wenn man Antworten braucht, die man sich selbst nicht zu geben wagt.
    »Es fällt mir schwer, eine Frage zu stellen«, sagte Daniel.
    Es war genau dieser Satz, der uns wieder zum Anfang zurückwarf.
    Ich hatte ihm mitteilen wollen, welche Mutmaßungen ich Janas wegen hegte; dass ich fürchtete, nicht nur Zeuge zu werden, wie das Gefüge in der Stadt auseinander brach, sondern Mittelpunkt eines anderen Zusammenbruchs zu sein, nämlich meines Lebens hier mit der Frau, die ich liebte. Aber Daniels Unsicherheit, sein Zögern stellten mir auf einmal die Fremdheit zwischen uns vor Augen, eine Distanz, die ich hatte wachsen lassen, solange meine Kinder und ich noch unter einem Dach gewohnt hatten, und die nicht kleiner geworden war in der Zeit, in der wir viele Meilen getrennt gewesen waren. Ich hätte vielleicht meinen Sohn über meine Ängste einweihen können; ich hätte vielleicht einen Fremden um Rat fragen können – aber einen Fremden, der mein Sohn gewesen war und über dessen tatsächliche Fremdheit ich mir höchstens Illusionen gemacht hatte … Es war mir noch nie leicht gefallen, jemandem mein Herz auszuschütten, und meine Freundschaften hatten stets besser funktioniert, wenn ich dabei gegeben hatte anstatt zu nehmen.
    »Die Situation in der Stadt ist ein schwelendes Strohfeuer«, hörte ich mich sagen.

Weitere Kostenlose Bücher