Der Sohn des Tuchhändlers
herein, nicht einmal Julia mit einem Knecht, um die Truhe abzuholen. Die Nachmittagsstille war von unserem Gespräch durchbrochen worden, doch das Haus knackte und spannte und dehnte sich weiter, als würde ihm niemand zuhören. Ich wandte mich zu Daniel um, der sich rittlings auf die Bank gesetzt hatte und jetzt weit zurücklehnte, eine Hand auf der Tischplatte. Seine Finger tappten einen nervösen Rhythmus.
»Wer ist Fryderyk Miechowita?«, fragte er.
»In seinem Haus ist Samuel über Zofia hergefallen. Er steht im Zentrum der Angelegenheit, aber ich sehe nicht, welcher Vorteil auch immer sich aus dem Gang der Ereignisse für ihn ergibt.«
»Nein, ich meine: Was bedeutet er für Sie?«
Ich schloss den Mund und sah ihn an. Seine Finger trommelten schneller. Er wich meinem Blick aus und sah sich selbst bei der Trommelei zu. »Und was bedeutet er für Jana?«
Ich erwiderte nichts. Etwas wisperte draußen wie Stoff, doch da war immer noch niemand … Julia nicht und schon gar nicht Jana, die in den Saal trat und sagte: »Ich habe mich entschieden. Ich habe mich entschieden für …«
»Miechowita«, sagte Daniel, »steht nicht nur im Mittelpunkt der Geschichte zwischen Samuel und Zofia.«
»Er ist nicht von Belang«, flüsterte ich und hörte eine innere Stimme sagen: Wunschdenken, Wunschdenken …
Daniel stellte das Trommeln ein und machte eine Faust. Er schlug leicht auf den Tisch damit. Ich hatte eine Ahnung, dass es ihn Mühe kostete, nicht mit aller Kraft darauf zu dreschen.
»Vater, ich bin kein kleiner Junge mehr! Wann hören Sie endlich auf damit, die wirklich wichtigen Dinge nur mit sich selbstabzumachen? Miechowita ist nicht von Belang? Dieses ganze Gespräch ist nicht von Belang, weil Sie um das, was wirklich wichtig ist, einen Bogen machen wie der Teufel um die Kirchentür. Habe ich – haben Maria oder Sabina – damals auch nur ein Wort von Ihnen gehört, dass Mutters Tod Ihr Herz brach? Nein, Sie haben Ihre Seele vereisen lassen und Ihr Herz zum Schweigen gebracht und uns jeden Augenblick unter Ihrem Dach spüren lassen, dass Ihr Leid unermesslich ist, aber Sie haben es niemals mit uns geteilt! Und jetzt? Glauben Sie, ich bin blind gegenüber dem, was hier vor sich geht? Oder Sabina? Wie es aussieht, hat Ihre Gefährtin einen Liebhaber! Haben Sie dieses Wort auch nur ein einziges Mal ausgesprochen, und wenn nur in Gedanken? Hat sie einen? Wissen Sie’s? Haben Sie mit ihr schon darüber gesprochen? Oder ist es Ihnen zu peinlich – vor ihr, vor uns, vor Ihnen selbst? Wer sind wir für Sie, und warum sind wir hier? Ich glaube gern, dass Sie uns hergebeten haben, um mit Ihrem alten und Ihrem neuen Leben ins Reine zu kommen, aber jetzt laufen die Dinge nicht so, wie Sie es sich ausgemalt haben, jetzt sind plötzlich Schwierigkeiten aufgetaucht, und schon ergreifen Sie die nächstbeste Gelegenheit und verstecken Ihre Gefühle hinter fruchtlosen Kombinationen über eine Angelegenheit, die mir und sabina und allen , die sie lieben und ihnen helfen wollen , scheissegal ist !«
Ich suchte nach Worten. Sein Gesicht war rot geworden, und seine Augen funkelten. Ich wusste, dass er die Wahrheit sagte, ebenso wie ich wusste, dass er nicht das Recht hatte, mich so in die Enge zu treiben. Die Dinge hingen alle zusammen … ich konnte es nicht erklären, aber ich war mir sicher … wie konnte er sich anmaßen, darüber zu urteilen, wo er gestern erst angekommen war und keine Ahnung von dem Gleichgewicht hatte, das in der Stadt seit Jahren nur mühsam aufrechterhalten wurde. Genau, sagte eine kühle Stimme in mir, und du bist der Einzige, der die Angelegenheit in Ordnung bringen kann. Gott sei gedankt, dass du dich in der Stadt aufhältst; Peter Bernward,der Gigant unter den Schnüfflern, der Jupiter der Spürhunde, und nicht irgendein Versager, der nicht versucht, hinter die Fassaden zu blicken, sondern das glaubt, was er sieht! Und weil wir schon mal dabei sind – wie steht es denn mit der Fassade deines Lebens … dort in der letzten Zeit auch mal dahintergeguckt, anstatt die Frau, die du liebst, einfach des Betrugs zu bezichtigen?
Ich spürte, wie der altbekannte Peter-Bernward-Jähzorn in mir hochschwappte.
Aha, sagte die Stimme, und in meinem Inneren klang sie wie die Stimme Daniels, dabei war sie nur eine jüngere Ausgabe meiner eigenen Stimme, die sich weigerte, alt zu werden und dem Verdacht Raum zu geben, dass das Leben mir auf Schritt und Tritt die Rechnung für meine schiere Existenz
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