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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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eigentlich sagte ich: Jana, ich liebe dich, und was immer auch passiert ist zwischen uns, ich weiß, dass auch du mich liebst, und wenn ich an einem starken Seil über einem Abgrund hängen würde und du würdest mir die Hand reichen, ich würde das Seil bedenkenlos gegen dieses schmale Handgelenk, gegen diese langen, eleganten Finger tauschen, weil ich weiß, dass kein Seil der Welt mich vor dem Absturz retten könnte, wenn du mich nicht halten würdest … »Natürlich«, wiederholte ich.
    Sie nickte mir zu. Ich riss mich los und polterte die Treppe hinab. Im Gehen rief ich: »Schick jemanden zu Friedrich von Rechberg, wenn es ernst wird, können wir nicht viel genug Männer haben, die uns helfen!«
    »Ich gehe selbst!«
    Trotz meiner Not blieb ich nochmals stehen, diesmal am Fuß der Treppe. Sie hatte sich bereits abgewandt, um sich andere Kleidung aus dem Schlafzimmer zu holen; ohne Zweifel nichts weiter als feste Stiefel. Ich hörte sie über den Flur rennen. »Das ist zu gefährlich!«, rief ich hinauf.
    »Ich bin Polin!«, rief sie zurück. »Das ist meine Stadt. Das ist mein Volk. Die da draußen auf dem Marktplatz sind Idioten, sonst nichts. Ich fürchte mich nicht in meiner Stadt inmitten meines Volks.«
    »Ich bleibe hier, falls Paolo zurückkommen sollte«, vernahm ich Sabina. Und mit deutlichem Grimm in der Stimme: »Und ich verwandle dieses Haus in eine Festung, wenn es sein muss.«
    »Julia wird dir mit den Dienstboten helfen«, sagte Jana. Dann zupfte Daniel mich am Arm; »Vater, komm!«, und ich warf michherum und begann noch im Laufen die Namen der Männer zu rufen, die ich mitnehmen wollte.

    Der Innenhof lag nicht anders da als an jedem beliebigen Tag. Dennoch sah er anders aus. Das Licht war greller, und er wirkte leerer, und eine hässliche Stimme flüsterte in mein Ohr: Wirst du hier jemals wieder ein Kind darüber toben sehen? Paolo war erst wenige Minuten weg, und was immer auch in der Stadt derzeit vor sich ging, sie war keine Räuberhöhle und die Menschen, die sich rund um den Rathausturm gegenseitig aufstachelten, eher Verführte als Verbrecher; aber die Angst ließ sich davon nicht beeindrucken, die Angst sagte: Er ist noch so klein, er kann unter ein Pferd kommen (ich sah die berittenen Wachen von gestern über den Platz sprengen), er ist noch so arglos, er ahnt nicht, dass das Böse in manchen Menschen leibhaftig ist (ich sah das Pack, das sich allezeit in den Brandungswellen von Menschenmassen herumtreibt, und ich sah sie, wie sie Paolo packten und grölten: Mal schauen, ob diese kleine Kröte schwimmen kann), er ist so unschuldig, so hilflos, er ist mein Kind, mein Kind …
    … lass ihm nichts zustoßen, Herr behüte ihn, du hast die Kinder immer geliebt …
    … du musst auf ihn Acht geben, er ist noch ein kleiner Kerl …
    Vom Marktplatz herüber tönte ein Röhren, das nicht mehr menschlich schien, schwappte zwischen den Häuserwänden hin und her und drang in unseren Hof ein wie Gift. Das Geschrei der Apokalypse … die sieben Reiter kamen auf den Schultern eines brüllenden Mobs und nicht auf feuerschnaubenden Rössern. Ich fühlte den Schweiß auf meiner Stirn und unter meinen Achseln, doch meine Hände waren eiskalt.
    »Ihr beide – zur Universität. Durchsucht die Nebengassen. Ihr beide – zum Weichseltor. Ihr beide – wartet auf Jana und begleitet sie in die Vorstadtgasse, und wenn sie bei Rechbergangekommen ist, durchsucht die Gegend dort. Achtet auf Studentengruppen – wir sind mit einer zusammengestoßen, und sie kennen Paolo. Ruft Paolos Namen – vielleicht hat er sich verlaufen, und zwischen den Erwachsenen seht ihr euch gegenseitig nicht, wenn ihr fünf Schritte voneinander entfernt seid.«
    »Bleibt die Judengasse für uns«, sagte Daniel.
    Ich nickte und hastete zum Tor hinaus, den vier Männern, die ich ausgeschickt hatte, hinterher. Daniel blieb an meiner Seite.
    »Der allergemütlichste Platz in der Stadt zurzeit.«
    Ich drehte mich im Laufen um und musterte ihn. Er wirkte angespannt, aber nicht ängstlich. »Ich bin ja bei dir und passe auf dich auf«, keuchte ich.
    »Ah ja«, sagte er. »Und ich dachte, es wäre genau umgekehrt.«
    Es standen keine lachenden Studenten in der Gasse und schubsten ein kleines Kind zwischen sich hin und her (was ich ein paar Momente ebenso heftig gehofft wie gefürchtet hatte). Das nicht. Aber dort, wo unsere Gasse in die Judengasse mündete, hatten Stadtwachen einen Kordon gezogen. Sie hielten die Spieße mit den Spitzen nach

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