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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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oben vor sich; die Füße hatten sie auf die eisernen Schuhe der Spieße gestellt wie ein Landsknechtstrupp, der sich auf einen Angriff vorbereitet. Sie rückten zusammen, als sie uns aus dem Tor platzen sahen, und senkten die Spitzen ihrer Waffen in unsere Richtung.
    Es waren nur ein paar Dutzend Schritte von Janas Tor zu ihnen. Es kam mir vor, als würden sie in dem Maß vor uns zurückweichen, in dem wir uns ihnen näherten, doch das mochte daran liegen, dass ich mich zwang, langsam zu gehen. Auf sie loszustürmen hätte unsere Suche schnellstens beendet, entweder in Fesseln oder mit ein paar Zoll gehämmertem Eisen in den Därmen.
    »Was ist hier los?«, sagte ich, als wir vor ihnen standen.
    »Weitergehen«, knurrte einer auf polnisch. »Hier gibt’s nichts zu gaffen.«
    »Der Rat beschützt das Judenviertel? Gut. Wir müssen hinein. Zu Mojzesz Fiszel, dem königlichen Bankier …«
    »Weitergehen«, wiederholte er.
    »Nein, hören Sie doch …«
    Er wandte den Kopf über die Schulter. »Scharführer«, bellte er.
    »Frag ihn, ob er Paolo gesehen hat«, zischte Daniel.
    »Haben Sie einen kleinen Jungen gesehen? Er ist vor ein paar Minuten hier durchgekommen und …« Ich brach ab. Ich fürchtete, dass ich verstand. Der Mann mit dem Spieß brauchte nicht erst zu sagen: »Hier ist niemand durchgekommen, verlasst euch drauf.«
    Ich versuchte es trotzdem. »Er ist aus dem gleichen Tor gekommen wie wir eben. Da vorn. Bitte … Sie müssen ihn doch gesehen haben.« Ich starrte in das abweisende, stoppelbärtige Gesicht unter dem Helm. Seine Kameraden zu beiden Seiten musterten uns. Ich versuchte, sie alle in meine Frage einzubeziehen. »Er ist noch klein. So … er ist mein Sohn. Ein kleiner Junge …«
    »Da kam keiner raus«, sagte der Stadtwächter endlich. »Oder?«
    »Nur er hier gerade eben und die Typen mit ihm«, brummte ein anderer.
    Daniel sah von einem zum anderen. Er verstand kein Wort. Ich fühlte meinen Herzschlag und meine Kurzatmigkeit. Die Wachen rückten keinen Schritt beiseite. Ich packte Daniel am Ärmel und zog ihn mit mir.
    »Was ist denn los? Was haben die Burschen gesagt?«
    »Der Hinterausgang«, stieß ich hervor. »Paolo ist hinten raus. Verdammt noch mal.«
    »Wo führt der Hinterausgang hin?«
    »In eine Stichgasse … komm mit.«
    Wir hetzten wieder zum Tor hinein. An meinen Beinen waren unsichtbare Bleigewichte befestigt; Daniel rannte neben mir herwie einer, der davon noch nicht einmal richtig warm wird. Wir liefen fast in Jana hinein, die sich ein Tuch über den Kopf gezogen hatte. Ich spähte auf ihren Rocksaum … abgestoßene Stiefel … meine selbst im Augenblick der Panik noch praktische Jana … sie zuckte zurück und sah uns mit aufgerissenen Augen an.
    »Hinterausgang …«, keuchte ich. »Paolo muss hinten …«
    »Verdammt!«, sagte sie; und zu ihren Begleitern: »Los!«
    »Wohin führt die Stichgasse?«, rief Daniel.
    Ich polterte durch das Kontor, in dem die verbliebenen Schreiber in einer Ecke standen und sorgenvolle Gesichter zogen. Daniel wandte sich nach links zur Treppe ins Obergeschoss, aber ich zog ihn weiter. Hinter dem Kontor befand sich ein großer Lagerraum voller Kisten und Ballen, und dahinter ein kurzer finsterer Gang und ein gähnendes Loch im Boden. Ich stürzte mich ohne zu zögern hinein und klapperte die Treppenstufen hinab. Als ich in die Dunkelheit getaucht war, sah ich einen trüben Lichtschimmer mir entgegenkommen. Es roch erdig, aber nicht so dumpf wie in Meister Schloms Werkstatt. Wir mussten nicht tief hinunter; Janas Haus stand wie alle auf der flachen Böschung, in der die Stadt vom Mauerring her zur Mitte anstieg, aber die Aufschüttungen waren hier bei weiten nicht so massiv wie im Südwesten, rund um den Wawelhügel herum.
    »Von hier werden die schweren Güter direkt in den Lagerraum geliefert«, rief ich. Meine Stimme hallte. »Das ist der kürzeste Weg vom Schustertor.«
    »Also geht die Stichgasse …«
    »Zur Schustergasse.«
    Das Tor des Hinterausgangs war zweiflüglig. Ein Flügel stand offen. Normalerweise war das Tor geschlossen – nicht verrammelt, aber zu.
    »Er ist hier raus«, sagte Daniel und stieß den Torflügel im Vorbeilaufen weiter auf.
    Wir rannten ebenerdig hinaus. Die gegenüberliegende Hauswand ragte fensterlos vor uns auf, ebenso die Stirnwand, die die Stichgasse gleich hinter dem Torflügel abschloss. Mir wurde plötzlich klar, dass diese Wand wahrscheinlich die Rückwand von Fryderyk Miechowitas Haus war. Wenn mich

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