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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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draußen losging, hat der Mob deinen Namen gerufen; nicht meinen und nicht seinen.«
    Weigel machte den Mund auf; und zu; und wieder auf und wieder zu. Es kam kein Ton hervor. Betmann wandte sich ab. »Und der Erste, der hier hereinstürmte und verlangte, die Wachen ausrücken zu lassen, warst du auch.«
    »Das habe ich nicht nötig …«, flüsterte Weigel.
    »Was hier los ist, hat keiner von uns nötig.« Betmann musterte mich. Ich hatte ihn bislang nur von weitem erlebt und für einen gehalten, den man in der Dunkelheit unter seinen Genossen nicht herausgekannt hätte und dessen hervorstechendste Eigenschaft es war, nach jeder Richtung hin wenig Widerstandsfläche zu bieten. Entweder hatte ich mich getäuscht, oder der Konflikt befreite einen Joachim Betmann in ihm, der bisher im Verborgenen gelebt hatte. »Also, Berwand, was wollen Sie hier?«
    »Wo ist Mojzesz Fiszel?«
    »Der Bankier? Woher soll ich das wissen?«
    »Sie haben ihn doch verhaften lassen.«
    »Abgesehen davon, dass es Sie nichts angehen täte, wenn es so wäre, sage ich Ihnen: Sie irren sich.«
    »Er ist von Wachen abgeführt worden; ich habe mit seiner Frau gesprochen.«
    Ich hörte jemanden in meinem Rücken etwas flüstern, das wie ein Fluch klang.
    »Die Wachen.« Betmann lachte bitter. »Die Wachen!«
    »Wo haben Sie die Kerle hingeschickt? Warum lassen Sie das Rathaus nicht beschützen? Glauben Sie vielleicht, der Mob würde nicht wiederkommen?«
    »Die Stadtwache ist in Kleparz.«
    »Was tun sie denn dort?«
    »Sie werden bewacht. Wir haben sie entwaffnen und hinausführen lassen. Die Reiterei tut auf sie aufpassen. Wir konnten nicht riskieren, dass sie zu den Krawallmachern überläuft.«
    »Sie haben sie einfach alle festnehmen und aus der Stadt schaffen lassen? Wer bewacht die Tore? Wer kümmert sich um die Straßen rund um die Stadt?«
    »Die Gefahr kommt im Augenblick von innen, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten«, sagte Weigel. Sein Mund war hassverzerrt.
    »Sie haben Ihrer eigenen Wache einfach unterstellt, dass sie Ihnen in den Rücken fallen würde. Na wunderbar.«
    »Es sind fast alles Polen. Nur die berittene Wache ist deutsch.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Die Wache ist doch als Einziges darauf vorbereitet, ein Feuer zu löschen. Wenn die Irren da draußen auf die Idee kommen, das Judenviertel anzustecken, brennt ganz Krakau ab. Ein einziges Haus reicht schon, das zu brennen anfängt.«
    »Das tun sie nicht«, sagte Weigel. »Das ist doch auch ihre Stadt.«
    »Vielleicht beschränken sie sich ja auf Ihr Haus«, erwiderte ich, weil ich wusste, dass zwischen Weigel und mir keine Liebe mehr zerstört werden konnte.
    Der Bürgermeister seufzte. »Wenn Sie nur Fiszels wegen hergekommen sind, können Sie wieder gehen. Ihr Freund tut hier keinen Menschen interessieren.«
    »Er ist von Wachen abgeführt worden«, beharrte ich.
    »Wer weiß?« Betmann winkte ab. »Vielleicht waren schon welche übergelaufen, bevor wir sie entwaffneten. Wir haben sie nicht gezählt.«
    »Und warum sollten sie, falls es so wäre, ausgerechnet Mojzesz Fiszel in ihre Gewalt bringen wollen?«
    »Er ist ein Jude. Wahrscheinlich wollen sie ihn brennen sehen«, sagte Weigel.
    »Der Mob da draußen hält solche wie Sie für die besseren Laternen«, erklärte ich.
    »Was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?«, brüllte Weigel los. »Denken Sie, Sie können sich hier Frechheiten herausnehmen tun, nur weil Sie mit mir um das Schandgeld für meine Tochter gefeilscht haben?« Er brach ab und sah sich um. Sein Gesicht nahm eine puterrote Farbe an. Alle anderen im Saal schauten überall hin, nur nicht zu ihm, aber in Wirklichkeit besaß er die gesamte Aufmerksamkeit des ganzen Saals. In der plötzlichen Stille konnte man die Kirchglocken die Vesper läuten hören, als ob es die letzten Stunden nicht gegeben hätte, unddann begann eines der Kinder zu schluchzen. Niemand läutete die Glocke des Rathausturms. Weigel stierte mich an. »Sie dreckiger, gottverdammter Bastard«, sagte er erstickt.
    Das Weinen des Kindes war immer noch zu hören. Jemand flüsterte: »Schschsch …«
    Weigels Schultern sanken herab. Er ging um mich herum. Ich drehte mich mit, weil ich erwartete, dass er von hinten auf mich einschlagen würde. Aber er stieß nur den Mann, der hinter mir stand, mit der Schulter an und schlurfte weiter, im Augenblick ausgebrannt, eine leere Hülle, die der Hass nun erst recht ausfüllen konnte. Ich sah dem Mann ins Gesicht, den er gestoßen

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