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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Anzahl von Angreifern verteidigen können. Man sah dem Turm an, dass er zu einer Zeit errichtet worden war, an der Vorfälle wie der heutige die Ratsmitglieder nur dazu gebracht hätten, mit grimmigen Gesichtern ihre Schwerter zu schärfen und vor den Fenstern Platz für die Fässer mit dem heißen Pech zu schaffen. Die Zeiten waren vorbei, seit der Rat in der Hand der deutschen Patrizier war.
    Joachim Betmann stand an einem der Fenster und schaute hinaus. Er war einen Kopf größer als die meisten, aber heute stand er so gebeugt, dass es fast nicht auffiel. Er hatte seine Ratskette umgelegt, und daran erkannte ich ihn schließlich. Drei weitere Männer drängten sich neben ihm und schauten ebenfalls hinaus. Überall standen die Männer nahe beisammen; in der Furcht sucht man jeden Komfort, den man kriegen kann. Auch die Frauen und Kinder in der Ecke drängten sich aneinander. Der Einzige, der für sich allein war, saß entfernt von seinen Leidensgenossen auf dem Podium, auf dem die Stühle des Rats bei offiziellen Anlässen standen. Er hatte sein Gesicht in die Hände gelegt und sich zusammengekauert; ich wusste, dass ich ihn kannte, aber ich konnte ihn nicht platzieren. Das späte Sonnenlicht fiel durch die kleinen Fenster und teilte sich in Bahnen auf, in deren goldenem Schein Staub tanzte. Die Gestalten im Raum waren in schweres Seitenlicht getaucht; wenn sie sich bewegten,schienen sie durch das Licht zu schwimmen. Sie wirkten, als seien sie bereits seit hundert Jahren hier und würden nie wieder den Mut finden, diese Zuflucht zu verlassen.
    »Warum haben Sie Mojzesz Fiszel verhaften lassen?«, fragte ich das Erste, was mir in den Sinn kam. Ich dachte: Ein toller Anfang für einen, der um Hilfe bitten will; aber meine Zunge hatte sich ohne Zutun meines Hirns bewegt.
    Betmann und die beiden anderen drehten sich um. Ich erkannte überrascht, dass einer von ihnen Laurenz Weigel war. Während Weigel die Augen aufriss, musterte Betmann mich von oben bis unten.
    »Sie sind Paul Berwand«, sagte er schließlich.
    »Fast getroffen«, antwortete ich; aber als er mir eine Hand entgegenstreckte, nahm ich sie und erwiderte seinen Händedruck.
    »Ich hoffe, Sie sind gut hergekommen«, sagte der Bürgermeister. »Was da draußen passieren tut, ist unbeschreiblich. Diese Menschen sind sich nicht bewusst, was sie der Stadt antun.«
    »Was sie unserer Stadt antun«, unterbrach Weigel und sah mich auf eine Weise von der Seite an, die deutlich machte, dass ich mich in das »unser« nicht unbedingt eingeschlossen fühlen sollte. »Als ob das Pack hier könnte tun und lassen, was es will.«
    Betmann vollführte eine unbestimmte Geste durch den Raum. »Haben Sie Ihre Familie mitgebracht, oder sind Sie allein hier?«
    »Ich glaube nicht, dass er auf der Suche nach Asyl sein tut«, erklärte Weigel.
    »Asyl gibt’s nur in der Kirche«, hörte ich mich sagen. »Und auch das nur bedingt. 1407 hofften die Juden vergeblich darauf.«
    Weigels Gesicht wurde dunkel. »Sie haben kein Recht, solche Anspielungen zu machen. Sie sind nicht von hier.«
    »Sie auch nicht«, sagte ich. »Ich wette, 1407 stand Krakau in den Rechnungsbüchern Ihres Großvaters nur als ein Posten fürdie Lieferung von Material zum Wiederaufbau der Sankt-Anna-Kirche.«
    »Meine Familie tut seit drei Generationen in Krakau ansässig sein«, zischte er.
    »Warum verstecken Sie sich dann hier, anstatt Ihre Leute draußen zur Vernunft zu bringen?«
    »Das sind nicht meine Leute, das sind …«
    »Aha«, sagte ich. Ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war. Die Wut war so plötzlich über mich gekommen, dass ich neben mir stand und mir selber beim Reden zuhörte. Undeutlich merkte ich, dass der Mann auf dem Podium aufgestanden war und sich ein paar Schritte weit genähert hatte. Ich beachtete ihn nicht. Wenn er plante, Weigel zu Hilfe zu kommen, indem er mich von hinten am Kragen packte, würde er sein blaues Wunder erleben.
    »Hören Sie auf«, sagte Betmann. »Alle beide.«
    »Er ist doch hier hereingekommen und hat zu stänkern angefangen!«, rief Weigel.
    Betmanns Blicke ließen mein Gesicht nicht los.
    »Hat er Recht damit, dass Sie hier keinen Unterschlupf suchen?«
    »Mein Unterschlupf ist mein Haus«, sagte ich. »Da gehe ich auch wieder hin, wenn ich hier rausgehe.«
    »Es ist nicht Ihr Haus, es ist das von …«
    »Laurenz, sei ruhig«, sagte der Bürgermeister.
    »Ich tu mir nicht von dir nicht den Mund verbieten lassen, Joachim!«
    »Als der Trubel da

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