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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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die anderen drei rannten nun Laurenz Weigel hinterher, der kehrtgemacht hatte und versuchte, zum Rathausturm zu fliehen. Von dort näherte sich eine kleine Gruppe von Männern mit Knüppeln und Holzstangen, die ihm winkten und ihm zuriefen, sich zu beeilen.
    »Der Krieg beginnt«, hörte ich mich sagen. Dann war Zofia neben mir, und ich fasste sie um die Schultern und zog sie mit mir vorwärts. Sie war so klein und zierlich wie eine Zwölfjährige; kein Wunder, dass ich sie im ersten Moment für Paolo gehalten hatte. Ihr Atem ging pfeifend, ihr Gesicht war krebsrot und ihre Augen verdreht.
    »Hilf … Hilf …«, krächzte sie mit jedem Einatmen. Es war die Angst, die sie vorantrieb, ihr Bewusstsein hatte sich vor Erschöpfung bereits halb verabschiedet.
    Der Mann, der jetzt hinter uns beiden her war, brüllte etwas Unflätiges. Ich fand irgendwo die Kraft, Zofia und mich selbst vorwärts zu bewegen und sogar noch schneller zu laufen. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Laurenz Weigels Abstand zu den Kerlen, die ihn verfolgten, zusammenschrumpfte, wie aber die Knechte aus dem Rathausturm herankamen, um ihn zu retten.
    Zofias Atem rasselte; sie fuchtelte mit den Händen herum wie eine Ertrinkende.
    Da vorn war die Ecke der Sankt-Anna-Gasse.
    Jana würde nicht rechtzeitig zurückkommen.
    Ich hörte die Schritte des Kerls hinter uns über meinem Keuchen und dem Brausen in meinen Ohren.
    Er würde uns einholen. Ich wusste, dass ich uns nicht gegen ihn würde verteidigen können; wenn ich jetzt stehen blieb, konnte ich von Glück sagen, nicht in die Knie zu sinken.
    Ein Teil von mir hoffte, dass Jana sich in Sicherheit gebracht hatte, der weitaus größere Teil war immer noch geschockt. Sie hätte doch an meiner Seite …
    Laurenz Weigel und die Knechte passierten einander, als seine Verfolger nur noch auf Mannslänge von ihm entfernt waren. Er rannte unvermindert weiter. Die Knechte schwangen ihre Stöcke herum.
    Die Ecke der Sankt-Anna-Gasse … Zofia war eine Last an meiner linken Seite, die ich mehr tragen als voranschieben musste … die Sankt-Anna-Gasse war ein Ziel, wenngleich mit seinem Erreichen nichts gewonnen war. Janas Haus war zu weit entfernt …
    »Du bist tot !«, brüllte der Mann hinter uns. Ich hatte das Gefühl, er brülle es direkt in mein Ohr.
    Die Knechte und Laurenz Weigels Verfolger prallten aufeinander. So musste es sein, wenn zwei Armeen in vollem Lauf zusammenstießen. Ich sah eine Gestalt durch die Luft wirbeln und einen vollendeten Purzelbaum schlagen, während sie immernoch ihren Stock umklammerte; ich sah, wie ein in vollem Schwung heransausender Knüppel einem Mann gegen den Leib drosch und dieser sich förmlich darum herumwickelte …
    Ich zerrte Zofia um die Ecke herum.
    Jana löste sich von der Hauswand dahinter und schwang einen Holzeimer.
    »… tooooot !«, brüllte der Kerl auf unseren Fersen, dann fand der herumschwingende Holzeimer sein Ziel. Ich hörte das Splittern und hoffte, dass es sein Schädel war. Seine Beine wurden hochgerissen, sein Schwung trug ihn weiter, plötzlich schien er kopfzustehen, er flog in einer Wolke von Holztrümmern und dem aufgischtenden Inhalt des Eimers auf uns zu, dann prallte er auf den Boden und überschlug sich. Jana wirbelte von dem Aufprall herum, nur noch den Griff des Holzeimers in beiden Händen, trat auf ihren langen Rock und stürzte. Ich stolperte, noch immer nach hinten gewandt, hatte nicht mehr die Kraft, mich abzufangen, und brach ebenfalls in die Knie. Zofia ging mit mir zu Boden, holte mit einem kreischenden Geräusch Atem und erbrach sich. Der saure Geruch und meine eigene Erschöpfung ließen mich trocken würgen. Jana rappelte sich auf und starrte mit wilden Augen auf das, was sie angerichtet hatte. Langnases Anhänger lag wie ein Haufen Kleidungstücke in den Überresten des Eimers zwischen ihr und mir. Ich sah zu ihr hoch.
    »Den Eimer wirst du bezahlen müssen«, sagte ich.
    »Ich wollte, es wäre Jauche darin gewesen statt Wasser«, sagte sie.
    Ich kam in die Höhe. Zofia lag neben mir auf Händen und Knien und spie und würgte. Wenn sie Luft holen konnte, schluchzte sie.
    »Das ist nicht Paolo«, sagte Jana.
    »Nein.« Ich spähte an ihr vorbei zum Rathausturm. Laurenz Weigel war nirgends zu sehen; der Rückzug schien ihm gelungen zu sein. Ich sah seine Knechte, wie sie in die Gasse zwischen Rathaus und Tuchhallen flohen, einen ihrer Kameraden mit sichschleppend. Die Meute vom Scheiterhaufen kam eben bei ihren Kumpanen

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