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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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nach Pferdemist roch – Wurfgeschosse für den Verteidigungsfall. Es ließ sich nicht leugnen, dass Sabina, die mit der Befestigung des Hauses betraut gewesen war, von meinem Fleisch und Blut war.
    »Wieder verschließen, Herrin?«, fragte der Knecht, noch bevor Sabina Atem holen konnte. Jana zögerte einen winzigen Moment, dann wandte sie sich ab, ohne zu antworten. Sie ließ den Blick über die Männer und Frauen schweifen, und ich sah, dass in ihren Augen etwas blinkte. Pferdeknechte, Küchenmägde, Buchhalter, Schreiber – alle hatten ihr die Treue gehalten. Jana wischte sich mit dem Handrücken rasch über die Augen.
    »Verschließen«, sagte Sabina. Der Knecht drückte das Tor zu, und Daniel ging ihm mit dem Riegel zur Hand. Julia, Janas Magd, eilte nach vorn und ergriff Janas Hände. Ich fing einen Seitenblick von Daniel auf und wusste, dass es an der Wahrheit nichts zu deuteln gab und dass unsere Hoffnung eitel gewesen war, doch es sich einzugestehen war schlimm. Ich spürte, wie die Angst wieder an mir hochkroch, als stünde ich knietief in eiskaltem Wasser, und die Flut kam. Ich schüttelte den Kopf. Daniel schüttelte ihn ebenfalls, dann senkte er den Blick und ballte die Fäuste. Sabina, die abseits stand, starrte mich mit finsterem Blick an; dieses eine Mal, wusste ich, war es nicht aus Zorn über mich.
    »Kümmere dich um sie«, sagte Jana und schob Zofia in JuliasArme. Sie wandte sich um und sah mich an. In ihrem Blick erkannte ich, dass ihr die Antwort ebenso klar war wie mir. Wenn er hier gewesen wäre, hielten wir ihn schon längst in den Armen. Ich schüttelte erneut den Kopf.
    Das Gesinde blieb stumm, nur von einer Stelle war unterdrücktes Weinen zu vernehmen: Paolos Kinderfrau.
    »Was können wir jetzt noch tun?«, fragte Jana.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Herr, behüte unser Kind«, flüsterte sie mit überquellenden Augen, und da begann auch ich zu weinen.
    Im Saal brannte das Kaminfeuer, als wir ihn betraten. Auf dem Tisch standen Unschlittlichter in Tonschalen und verqualmten den Raum fast ebenso sehr, wie sie ihn erleuchteten. Es war schwül und stickig im Saal; die offenen Fenster ließen die vorgewitterliche Luft herein, die sich immer mehr über der Stadt zusammenballte. Feuer und Lichter waren nicht wegen der Kühle angezündet worden, sondern um die Dunkelheit zu vertreiben. Während Jana wie verloren im Raum stehen blieb und Daniel und Sabina sich an ihr vorbeischoben, trat ich zu einem der offenen Fenster. Man konnte über die vordere Mauer hinweg auf die gegenüberliegende Hausfassade blicken; wenn man sich ein wenig hinauslehnte, ging der Blick durch die Schneise der Gasse und über das Häusergewirr des danach folgenden Viertels um das Weichseltor bis zum Wawel. Der Himmel hinter dem Burgberg war ein konturloser schwarzer Abgrund. Als Wetterleuchten durch ihn hindurchzuckte, konnte ich die übereinander geschobenen Bäuche der Gewitterwolken erkennen. Ihr Anblick brannte sich in meine Augäpfel ein wie der einer gewaltigen Welle, die man im Moment eines Blinzelns wie eingefroren vor sich sieht, während man weiß, dass sie in Wirklichkeit unaufhaltsam auf einen zurollt. Paolo pflegte sich, wenn solche Ungetüme von Gewittern im Anrücken waren, auf die Fensterbank zu knien, an mich zu lehnen und meine Arme vor seinem Körper zusammenziehen wie eine wärmende Decke. Aus dieserDeckung heraus gab er dann Kommentare über die Grandiosität des Schauspiels ab und überzeugte sich selbst davon, seine Begeisterung sei stärker als seine Furcht. Ich presste meine Hände auf den Stein, um meine eigene jämmerliche Angst um Paolo zu beherrschen. Die Tränen, die ich im Hof um Paolo geweint hatte, brannten auf meinem Gesicht.
    Jemand trat hinter mich und räusperte sich. Ich drehte mich um und war erstaunt, dass es nicht Jana war, sondern Sabina.
    »Wo können wir noch nach ihm suchen?«, fragte sie.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich, während Bilder vor meinem inneren Auge entstanden, die meine Angst fabrizierte – Orte, an denen man suchen konnte: die Bochenska-Brücke, unter der ein Körper wie ein kleines, nebensächliches nasses Kleiderbündel langsam hindurchtrieb; eine dunkle Brandgasse irgendwo in einem heruntergekommenen Viertel, in der eine zierliche Gestalt wie schlafend lag, doch die zierliche Gestalt würde ihre Augen niemals wieder öffnen. Ich erblickte zwei große, dunkle Augen in einem schmalen Gesicht, die mich ansahen, und ein Mund, der flüsterte: Hilf mir,

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