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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Vater, hilf mir, hilf mir … hol mich nach Hause …
    Sabina wandte sich mit zusammengepressten Lippen ab. Sie musste die Bilder in meinen Augen widergespiegelt gesehen haben.
    »Was ist mit dem Rat? Du hast doch versucht, dort Hilfe zu bekommen«, fragte Daniel. Sabina blickte bei Daniels vertraulicher Anrede auf. Ihr Gesichtsausdruck war undeutbar.
    »Ich habe es vermasselt«, antwortete ich. »Ich bin aufgetreten wie ein Stier im Blumenbeet.«
    »Sie hatten das Herz, dich wieder wegzuschicken?«
    »Ich bin von selbst gegangen. Nach den Worten, die gefallen sind, hatten sie keine Veranlassung mehr, mir zu helfen; aber sie konnten es ohnehin nicht. Der Rat hat in seiner Weisheit die Wache in Kleparz interniert, aus Angst, der eine oder andere unter ihnen würde die Seiten wechseln.« Tatsächlich hatte BürgermeisterBetmann meine Bitte mit der Bemerkung abgelehnt, ob ich erwarte, dass die Herren selbst die Stadt durchkämmten. Ich hatte ihn nicht gefragt, ob er mir geholfen hätte, wenn die Wache in der Stadt gewesen wäre.
    »Was ist mit Moses Irgendwie?«
    »Mojzesz Fiszel«, sagte ich mechanisch. »Bürgermeister Betmann schwört, der Rat habe ihn nicht verhaften lassen.«
    »Aber wir haben doch gesehen …«
    Ich zuckte mit den Schultern. Meine Gedanken fühlten sich an, als würden sie mit schweren Steinen beladen bergauf gehen – während jemand von hinten an ihrem Rockzipfel zerrte. »Wenn Betmann gelogen hat, kann ich es nicht ändern; aber wenn Mojzesz tatsächlich im Keller des Rathauses sitzt, dann ist das im Augenblick der sicherste Platz, an dem ein Jude sein kann. Der Rat wird ihm nichts tun.«
    »Hast du …«
    »Natürlich habe ich nach Paolo gefragt, Daniel. Sie haben ihn nicht. Selbst wenn die Wachen ihn mitgenommen hätten, hätten sie ihn höchstens hierher zurückeskortiert. Die meisten Ratsmitglieder kennen den Kleinen. Es gibt keinen Grund für Betmann und seine Leute, ihn festzuhalten.«
    Daniel ließ den Kopf hängen. Jana setzte sich an den Tisch wie eine alte Frau. Die Kraft zum Stehen musste sie ebenso verlassen haben wie die Kraft zum Pläneschmieden. Sie starrte ins Feuer. Ich sah von meinem Platz am Fenster aus, wie das Feuer zwei brennende Streifen auf ihre Wangen zeichnete, wo die Tränen die Flammen spiegelten. Das nicht mehr so ferne Wetterleuchten zuckte als fahles Blinzeln über die Wände, kaum wahrnehmbar – der Flügelschlag einer Eule vor dem Mondlicht. Ich ahnte, dass ich mich an Janas Seite hätte setzen und sie festhalten sollen. Bevor ich mich dazu entschließen konnte, huschte Julia in den Raum und flüsterte Jana etwas ins Ohr. Sie sah auf; nach kurzem Zögern nickte sie. Julia machte ein paar Schritte zur Tür.
    »Leg Zofia in unser Bett«, sagte Jana leise, »und bleib bei ihr. Wenn sie etwas wünscht, bring es ihr – aber lass sie nicht hinaus.«
    »Irgendwas müssen wir doch tun können«, flüsterte Sabina.
    »Wir schicken alle Knechte und Mägde raus und durchkämmen die Stadt nochmals!«, fuhr Daniel auf. »Wir klopfen an alle Türen und fragen die Leute, ob sie ihn gesehen haben, und wenn sie uns nicht öffnen, dann treten wir die …«
    »Da wirst du dicke Stiefel mitnehmen müssen«, sagte ich. »Keiner wird dir öffnen. Zurzeit läuft in allen Häusern in Krakau das ab, was Sabina hier schon erledigt hat: die Befestigung gegen den Sturm.« Ich deutete zum Fenster hinaus. »Sowohl gegen den, den der Himmel uns schickt, als auch gegen den, über den der Teufel sich ins Fäustchen lachen wird.«
    »Weil sie wissen, dass niemand die Stadt bewacht.«
    »Bis auf uns, die wir mit uns selbst beschäftigt waren, hat den Abzug der Wache wahrscheinlich jeder mitbekommen. Was soll’s – der schlimmste Feind ist ohnehin innerhalb der Mauern.«
    »Ich würde es trotzdem riskieren, rauszugehen und zu suchen.«
    »Natürlich, und ich werde mitgehen und wahrscheinlich die meisten Männer aus dem Gesinde.«
    »Und ich«, sagte Sabina.
    »Das glaube ich nicht«, entgegnete ich.
    Sie biss die Zähne zusammen. »Ich lasse mich nicht rausdrängen. Wenn Sie glauben, dass Frauen sich nicht wehren können …«
    »Darum geht es nicht«, sagte ich. »In der Nacht werden sich die üblichen Totschläger und das Gesindel, das in den Höhlen unterhalb des Wawel lebt, in der Stadt herumtreiben und die Horde vom Marktplatz noch verstärken. Wenn es zu Schwierigkeiten kommt, müssen wir uns entweder wehren oder uns bei der Flucht trennen können, damit sie uns nicht das Fell über die

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