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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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richtete ich meinen Blick auf den Gestürzten, der vor meinen Füßen Bewegungen machte wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist.
    »Idiot«, sagte ich laut und deutlich auf Polnisch.
    »Seid ihr verrückt geworden?«, zischte Jana, ebenfalls auf Polnisch. »Was fällt euch ein?« Sie musterte den zweiten Angreifer. Ich spähte zu den Kumpanen der zwei Männer hinüber, aber dort hatte niemand ihren Alleingang bemerkt. Langnase hatte seine Tiraden eingestellt und versuchte sich beim Einrammen des Pfahls nützlich zu machen, während ein gutes Dutzend seiner Anhänger um den Scheiterhaufen herumstand und gute Ratschläge zu geben schien. Langnase stieg auf dem Scheiterhaufen herum wie ein Storch im nassen Gras.
    »Ich kenne dich«, sagte Jana. »Du bist Maciej, der Karrenspanner.« Sie warf dem auf dem Boden Liegenden einen Seitenblick zu. »Und er da ist Andrzej, dein Bruder.«
    Der Karrenspanner warf einen panischen Blick zwischen ihr und mir hin und her. Sein Bruder ächzte und rappelte sich mühsam auf.
    »Ich schäme mich für euch«, sagte Jana. »Jeder anständige Pole würde sich schämen, wenn er sähe, welchem Pöbel ihr euch angeschlossen habt.«
    »Es muss etwas getan werden«, sagte der Karrenspanner mit ängstlichem Trotz.
    »Richtig, es muss etwas getan werden. Zum Beispiel muss ich mir für meine Reisewägen andere Karrenspanner suchen.«
    Andrzej, der auf die Beine gekommen war und seine Verlegenheit zu überspielen versuchte, indem er sein Wams abklopfte, fletschte die Zähne. »Wer bist du schon, dass wir auf deine Aufträge angewiesen wären?«
    Jana musterte ihn, dann wandte sie sich mir zu. »Gehen wir«, sagte sie. Ich nickte. Andrzej trat einen Schritt beiseite, als ich mich bewegte. Ich deutete auf sein Wams.
    »Da ist auch noch ein Fleck«, sagte ich, und er spähte unwillkürlich an sich herab und errötete dann.
    »He!«, schrie er uns hinterher, »he! Wer bist du schon, dass wir auf deine Aufträge angewiesen wären, habe ich gefragt!«
    »Ich bin Jana Dlugosz«, sagte Jana, ohne sich umzudrehen. »Ich habe euch im letzten Jahr Aufträge für insgesamt vier Gulden erteilt und euch für nochmal vier weitere an Geschäftspartner vermittelt.«
    Sie ließen uns ein paar Schritte weiter kommen, dann tauchten sie neben uns auf. Ihre Gesichter waren blass. Sie warfen sich nicht vor Jana auf den Boden, aber ihre Körperhaltung verriet, dass sie es getan hätten, wenn es darauf angekommen wäre.
    »Das ist ein Missverständnis, Frau Dlugosz«, keuchte Maciej. »Wir haben Sie nicht erkannt.«
    »Ihr würdet euch selber nicht erkennen, wenn ihr euch so sehen könntet.«
    Maciej deutete mit hilflosen Gesten hinter sich zum Tuchmarkt. »Das ist …«, sagte er, »das ist …«
    »Man muss doch was tun«, brummte Andrzej. »Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen.«
    »Von wem?«
    »Von den Juden.«
    »Es geht nicht um die Juden«, erklärte ich. Jana sagte gleichzeitig: »Habt ihr uns für Juden gehalten?«
    »Nein?«, sagte Maciej.
    »Nein!«, sagte Andrzej.
    »Avellino hat gegen die Deutschen gepredigt.«
    »Wir dachten, Sie seien …«
    »Die Geschäftspartner, denen ich euch zwei Vögel vermittelt habe, waren Deutsche«, sagte Jana.
    »Ja«, sagte Maciej, »das ist … das ist natürlich …«
    Jana wandte sich wortlos ab und schritt davon. Maciej sah ihr mit verzerrtem Gesicht nach, dann wandte er sich an mich und hob bittend die Hände. »Es war alles nur ein Missverständnis, Herr«, stöhnte er. »Tatsächlich haben wir Sie für Deutsche gehalten.«
    »Aber euer Anführer dort draußen hetzt doch jetzt gegen die Juden.«
    Andrzej nahm sich der Sache an. »Ja, schon … das ist … also, Pater Avellino hat jedenfalls gesagt …« Sein Bruder war offenbar der Geschäftstüchtigere von beiden; er versetzte Andrzej einen Stoß.
    »Es war ein Missverständnis, Herr Dlugosz«, sagte Maciej entschlossen, »und es tut uns sehr Leid.«
    »Na gut«, sagte ich. Ich warf einen Blick über die Schulter. Jana war schon fast am Eingang der Sankt-Anna-Gasse. Sie schritt mit der Haltung einer Königin. Maciej folgte unwillkürlich meinem Blick. Sein Gesicht nahm einen flehentlichen Ausdruck an. »Ich verrate euch was …«
    Sie kamen mit den Köpfen näher heran.
    »Es war gar kein Missverständnis«, sagte ich. »Ich bin Deutscher.«
    Sie starrten mich an. Ich drehte mich um und folgte Jana. Auf halbem Weg schaute ich über die Schulter. Sie standen immer noch da, wo ich sie hatte stehen lassen,

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