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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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an, die reglos auf dem Boden lagen. Ein paar machten halbherzige Anstalten, den Knechten nachzurennen, ließen es dann aber sein. Weitab davon knieten die zwei Männer, die bei Zofias Verfolgung übereinander gefallen waren, und krümmten sich. Der Kerl, den Jana niedergeschlagen hatte, stöhnte und fiel plötzlich zur Seite, nur halb bei Bewusstsein. Auf seiner Stirn prangte eine blau unterlaufene Beule so groß wie eine Kinderfaust; seine Nase war ein blutiger Blumenkohl. Es war insgesamt nicht gut für Langnases Anhänger ausgegangen.
    »Das ist Zofia Weigel«, sagte ich. Jana kniff die Augen zusammen. Dann kam sie herüber und bückte sich, um dem Mädchen aufzuhelfen. Sie merkte, dass sie immer noch den Griff des Eimers in einer Hand hielt, und warf ihn weg. Dann zog sie Zofia auf die Beine. Deren Gesicht war ein einziger Unfall aus Tränen, Speichel, Erbrochenem und Rotz. Sie knickte ein, und Jana richtete sie wieder auf.
    Ich trat an sie heran und half ihr, obwohl ich mich am liebsten selbst an sie gelehnt hätte. Ihr Gesicht war nahe an meinem. Ihre Augen waren immer noch weiter als normal.
    »Ich bin froh, dass du deinen Eimertrick noch nie an mir ausprobiert hast«, sagte ich.
    »Nein«, erwiderte sie, »für dich habe ich das hier.«
    Sie griff in meinen Nacken, zog meinen Kopf herunter und küsste mich so hart auf den Mund, dass meine Lippen auf den Zähnen zerquetscht wurden. Ich spürte ihre Zunge und erwiderte ihren Kuss mit dem gleichen Ungestüm. Plötzlich dachte ich, dass jetzt, allen Umständen zum Trotz, mit einem halb bewusstlosen, voll gekotzten Mädchen, dessen Vergewaltigung schuld an allem zu sein schien, was geschehen war, zwischen uns und der Sorge um unseren kleinen Sohn im Herzen, der richtige Augenblick war. Der Augenblick, um sie zu fragen, ob sie nach all den Jahren nun endlich meine Frau werden wollte. Ich fühlte ein Begehren nach ihr in mir erwachen, das meine Seele aufjubeln ließ,als hätte sie in den letzten Monaten im Starrkrampf gelegen; und eine körperliche Erregung, die in meinem Kopf ebenso stark war wie in meinen Lenden und die mich ahnen ließ, dass diese eine der seltenen Gelegenheiten war, an der zwei Menschen, die sich dem Augenblick hingaben, miteinander den höchsten Grad an Nähe finden konnten …
    »Gehen wir, bevor die Mistkerle da draußen noch auf uns aufmerksam werden«, sagte Jana. »Vielleicht ist Paolo jetzt auch zu Hause.«
    Der Augenblick war verflogen.

    »Macht auf!«
    Jana schlug mit der Faust gegen die verschlossene Pforte ihres Hauses. In der Gasse war es düster; das letzte Abendlicht mochte noch die Spitzen der Kirchtürme und die Flanken des Wawel vergolden, aber auf den Niederungen der Krakauer Gassen lagen die Schatten. Ich kam mir vor wie der Teilnehmer einer Verschwörung, als von drinnen scharrend ein Guckloch geöffnet wurde und Nase und Augen eines der Knechte darin sichtbar wurden. Bis eben hatte ich nicht einmal gewusst, dass das Tor dieses Guckloch besaß; hätte ich es vor ein paar Tagen entdeckt, wäre es mir wahrscheinlich in höchstem Maße lächerlich erschienen, und vielleicht hätte ich Jana sogar gefragt, wann sie darangehen wolle, das Tor auszuwechseln, das offenbar noch aus der Zeit stammen musste, da Krakau mehr eine Festung als eine Handelsstadt und jedes Haus seine eigene Burg war. Jetzt, mit der noch immer schniefenden Zofia an der Seite und den Bildern der letzten Stunden in meinem Kopf, schien mir alles höchst passend so. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der Knecht nach einem Losungswort gefragt hätte.
    »Frau Jana, der heiligen Jungfrau sei Dank«, sagte der Knecht und schlug das Guckloch zu. Er hantierte drinnen mit einem Riegel. Ich hörte, wie er die anderen im Haus informierte: »Es sind der Herr und die Herrin!« und fühlte auf einmal einen absurdenStolz darauf, wie ich in die Begrüßung eingeschlossen wurde, obwohl ich noch nie anders als der Herr gesehen worden war. Das Tor schwang auf, und der Knecht trat beiseite, um uns vorbeizulassen. Das Gesinde stand dicht gedrängt im Innenhof und gaffte uns an, mehr als ein Dutzend weiße Augenpaare in den hellen Flächen der Gesichter, die Körper eine einheitlich dunkle Masse im Schatten der Hausmauern, die in Janas Hof die Nacht bereits vorwegnahmen. Daniel und Sabina standen gleich neben dem Tor. Vor ihnen war eine kleine Reihe von Holzbottichen aufgestellt; die hellen runden Formen von Wackersteinen in einigen von ihnen, in anderen etwas Dunkles, das

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