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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Julius Avellinos Leichentuch vorhin.
    Ich wusste plötzlich, wer die Flüchtende war. Und ich ahnte, was passieren würde, wenn Langnases Mob sie zu fassen bekam. Die Distanz war nur noch kurz. Ich konnte Zofias aufgerissene Augen sehen und ihren weit offenen Mund, ich bildete mir ein, sie keuchen zu hören. Ihr Gesicht leuchtete hektisch rot unter ihrem blonden Haarschopf. Ein schneller Spurt voller Angst über einen Platz war nicht, worauf einen das Leben als Tochter eines reichen Patriziers auch nur annähernd vorbereitete. Weigel hatte gelogen, als er gesagt hatte, Zofia sei in einem Kloster untergebracht worden. Sie war die ganze Zeit in seinem Haus gewesen, bis er sie irgendwann heute im Rathausturm in Sicherheit gebracht hatte. Offenbar hatte sie etwas anderes ihrer persönlichen Sicherheit vorgezogen.
    »Bleib stehen!«, hörte ich Weigel brüllen.
    Der erste von Langnases Leuten war heran und streckte die Hände nach ihr aus. Sie ahnte ihn mehr, als dass sie ihn sah, schrie auf und schlug einen weiteren Haken, aber sie konnte ihm nicht entkommen. Mein Atem flog, ich war nicht weniger ausgepumpt als sie. Zwei, drei weitere Kerle würden sie gepackt haben, bis ich in ihrer Nähe war, daran konnte kein Haken, den sie schlug, etwas ändern. Es war sinnlos. Ich blieb stehen undfühlte, wie mein Magen sich vor Anstrengung hob. Wenn die Kerle auch noch auf mich losgingen, würde ich nicht einmal mehr die Kraft haben, wegzulaufen. Am Rand meines Gesichtsfeldes tanzten Punkte und Schatten herum.
    »Gottverdammt!«, brüllte Weigel und bemühte sich, den Abstand zu seiner Tochter zu verringern. Für seine Leibesfülle konnte er rennen wie ein Hase; ich hatte schon bei unseren Verhandlungen in seinem Haus erlebt, wie leichtfüßig der kugelrunde Mann war. Der Bursche, der sie gepackt hatte, verlor seinen Griff, fasste nach, sie wich aus, er bekam die Beine übereinander und prallte auf den Boden, als hätte ihn ein Armbrustbolzen gefällt. Einer seiner Kumpane, dichtauf, rannte in die sich überschlagende Gestalt hinein und wurde mit umgerissen. Der Nächste wich ihnen aus und verlor Boden. Zofia rannte jetzt in meine Richtung. Sie hatte immer noch keine Chance, wenn die anderen vier nicht auch noch unverhofft zu Boden gingen.
    »Zofia!«, schrie Weigel und sprang mit einem Satz über die verknäuelten Leiber der beiden Gestürzten. Sein Pelzkragen und die langen Flanken seines ärmellosen Mantels flappten in die Höhe, seine feuerroten Backen und die Wülste seiner Kinne schwappten.
    »Laurenz Weigel!«, schrie ich und deutete auf ihn. Meine Kehle brannte beim Versuch, für mein Gebrüll genügend Luft zu holen. Ich schrie weiter auf polnisch: »Das ist Laurenz Weigel! Holt ihn euch, Männer! Lasst ihn nicht entkommen!«
    Die Köpfe der Verfolger flogen herum. Weigel stierte mich im Laufen an. Zofias Beine rasten, als sie nach einer letzten Kraftreserve suchte und noch schneller rannte.
    »Laurenz Weigel!«, schrie ich. »Er ist es! Laurenz Weigel!«
    Diejenigen von Langnases Leuten, die beim Scheiterhaufen geblieben waren, setzten sich jetzt in Bewegung. Langnase, der wie ein Feldherr auf dem Gipfel des Haufens stand, deutete in unsere Richtung. Was er keifte, konnte ich nicht hören; es mochte sein, dass er weitere Truppen aussandte oder versuchte,sie zurückzuhalten. Ihm ging es nicht um die deutschen Patrizier, sondern um die Juden; aber seine Anhänger, die eigentlich Avellinos Anhänger waren, hatten immer noch die Stimme ihres vorherigen Idols in den Ohren und wie sie zum ersten Mal die Namen gellten, die Avellino als Feinde des Krakauer Volkes identifiziert hatte. weigel ! war einer davon gewesen, weigel ! hatte er gebrüllt und auf den Rathausturm gezeigt, und weigel ! hatte der Mob geschrien und nach Blut verlangt.
    » Pan !«, gellte eine neue Stimme. » Tedy, pan, tedy !«
    Zofias Verfolger änderten die Richtung und liefen auf Laurenz Weigel zu. Die Scheiterhaufenkonstrukteure begannen zu rennen, aber bis sie heran waren, würde das Geschehen hier vor meinen Augen entschieden sein, so oder so.
    »Schneller!«, rief ich Zofia zu. »Folgen Sie mir!«
    Ich warf mich herum und rannte zurück zum Eingang der Sankt-Anna-Gasse. Jana war nirgends zu sehen. Sie war vermutlich bereits vorausgelaufen, um Hilfe zu holen; es war das Vernünftigste, was sie tun konnte. Dennoch fühlte ich einen Stich. Ich hörte, wie Zofia aufschrie, und sah mich um. Einer der Verfolger war hartnäckig geblieben und schloss zu ihr auf,

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