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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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und strahlten Hass und Verwirrung gleichzeitig aus; den Hass, den ihnen Avellinos und Langnases Worte in die Seele gepflanzt hatten, und die Verwirrung darüber, dass sie nicht wussten, wen sie nun mehr hassen sollten: mich, den Deutschen, oder Jana, ihre Landsmännin.
    Jana war stehen geblieben. Ich versuchte es mit einem Grinsen, aber sie blieb ernst.
    »Gut, dass du über deine Geschäfte im Detail informiert bist.«
    »Bin ich nicht. Die aber auch nicht. Und für vier Gulden würden Kerle wie die Pferdeäpfel fressen.«
    »Manche von ihnen tun es auch so«, sagte ich. Mein Grinsen vertiefte sich.
    »Solche Burschen ekeln mich an«, erklärte Jana.
    »Sie können nichts dafür. Aus ihnen spricht Julius Avellino.«
    »Wenn sie und ihresgleichen nicht wären, hätte ein Julius Avellino niemanden, zu dem er sprechen könnte.«
    Ich wollte gerade sagen, dass wir nun nach Hause gehen sollten, als ich eine kleine, zierliche, in ein Tuch gehüllte Gestalt zwischen dem Rathausturm und der Flanke der Tuchhallen herausstürmen sah. Vor den wuchtigen Gebäuden und auf der weiten, leeren Fläche davor sah sie noch kleiner aus, als sie ohnehin war. Ein Mann kam aus den Schatten und rannte ihr nach, und ich sah, wie sie ihre Schritte beschleunigte. Der Mann sah sehr groß aus, wie er hinter ihr herstürmte.
    »Das ist doch …«, sagte ich.
    Jana erspähte die Szene im gleichen Augenblick. Sie packte mich am Arm. »Peter, ist das etwa …?«
    Der Verfolger brüllte etwas, das als unartikulierter Schrei bis zu uns drang. Plötzlich erkannte ich ihn: Er war gar nicht groß, er war nur breit. Es war Laurenz Weigel. Die Kerle, die auf dem Scheiterhaufen herumkletterten und ihre Ratgeber davor fuhren zusammen und drehten sich um. Die kleine Gestalt rannte genau in ihre Richtung, als würde sie sie nicht sehen; offenbar war ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihren Verfolger gerichtet, der bedrohlich aufholte. Langnase gestikulierte; seine Truppen überwanden ihre Überraschung und machten sich bereit, den Flüchtling abzufangen. Eine Bö, die stärker war als alle bisherigen,wischte über den Platz und peitschte Staub und Sand gegen den Rathausturm, nahm mir für einen Augenblick den Atem und ließ Janas halb aufgelöstes Haar um ihren Kopf wirbeln. Die kleine Gestalt packte ihr Tuch fester und stolperte in den Windstoß hinein.
    »Verdammt«, sagte ich. Aber da war ich schon mit großen Schritten unterwegs zurück auf den Tuchmarkt. Die kleine Gestalt, die vor den massiven Bauten nicht größer gewesen war als ein Kind, lief Langnases Anhängern direkt in die Arme, wenn ich sie nicht vorher erwischte, und obwohl ich keine Chance hatte, rechtzeitig zu ihr zu gelangen, sprintete ich dennoch, dass meine Füße auf das Pflaster hämmerten. Das schräge Sonnenlicht und die tiefen Schattenfelder ließen einen kaum etwas erkennen, schon gar nicht auf die Distanz, aber als ich losrannte, war ich überzeugt, dass die flüchtende Gestalt Paolo war.

    War Paolo schon im Rathausturm gewesen, als ich mich dort aufgehalten hatte? Aber warum hatte ich ihn dann nicht gesehen? Hatte man ihn vor mir versteckt? Festgehalten? Absurd! Er mochte dort Zuflucht gesucht haben, als er Zeuge von Mojzesz’ Verhaftung geworden war, das war nicht unwahrscheinlich, aber dass der Rat ihn daraufhin eingesperrt hätte … und wenn sie nicht wollten, dass es Zeugen der Verhaftung gab? Immerhin hatten sie die Judengasse abgeriegelt … Noch absurder – die Verhaftung des Bankiers ließ sich nicht geheim halten, nicht, ohne das gesamte Judenviertel zum Schweigen zu bringen.
    Aber weshalb verfolgte Laurenz Weigel dann den Flüchtling?
    Ich erkannte, dass ich keine Chance hatte, vor Langnases Leuten dort zu sein.
    Und ich erkannte noch etwas.
    Die rennende Gestalt bemerkte plötzlich, dass ein halbes Dutzend Männer ihr entgegenkam. Sie drehte sich im Laufen nach ihrem Verfolger um, stolperte fast, schlug einen Haken, umbeiden, dem Mann hinter ihr und der Meute vor ihr, zu entkommen.
    Der Flüchtling war nicht Paolo.
    Das Tuch, in das die Gestalt sich eingehüllt hatte, flog davon, bauschte sich in einem neuen Windstoß auf, wirbelte herum und flatterte Laurenz Weigel ins Gesicht. Ich sah langes, blondes Haar, das sich wie ein Schleier hinter dem Flüchtling ausbreitete.
    Er war eine Sie .
    Weigel fetzte sich das Tuch aus dem Gesicht und brüllte wütend auf. Er feuerte es hinter sich, wo der Wind es aufnahm und über das Pflaster tanzen ließ wie die Überreste von

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