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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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(war das erst gestern gewesen?) in der Auseinandersetzung mit den Studenten beigestanden war. Meine Wut war so groß, dass ich sie nicht in Worte fassen konnte, aber ich wusste nicht, gegen wen sie sich richtete.
    »Das Geschäft mit Miechowita war meine letzte Chance …«, sagte Friedrich von Rechberg.
    Ich warf mich herum, ohne ihm zu antworten. Der Säcklergehilfe bewegte keinen Finger. Ich rannte auf meinen schmerzenden Füßen und mit Stichen in der Seite zum Tor, das immer noch einen Spalt offen stand und von den Windstößen erbebte, riss es auf (der Wind half mir und schlug es mir fast ins Gesicht) und stürzte hinaus. Ich bildete mir ein, über den Häusern und hinter dem Rathausturm eine Feuersäule zu sehen, aber es mochte der Widerschein des Scheiterhaufens sein oder mein Entsetzen. Der Säcklergehilfe hatte Miechowitas Haus in Brand gesteckt, es konnte nicht mehr als einer Fackel bedurft haben, die er in einem der kleinen Zimmer im Obergeschoss vor den Wandbehängen auf den Boden gelegt hatte, bevor ich die Treppe hinaufgeklettert war: das alte Haus und die sommerliche Trockenheit hatten das ihre getan.
    Was würden Langnases Anhänger tun, jetzt, da die Feuerglocke läutete? Die Frage interessierte mich nicht so sehr wie eine andere, und die Antwort darauf war einfach: Das Läuten würde die letzten Hemmungen davonwehen, sie würden brennende Prügel aus dem Scheiterhaufen herausreißen oder vorbereitete Fackeln hineinstoßen, und die stummen Zuschauer, die ich als Schattenrisse vor dem Feuer gesehen hatte, würden sich ihnen anschließen, und der Mob würde ins Judenviertel einfallen und dort ebenfalls Feuer legen – wissend, dass sich in den Häusern, die sie ansteckten, keine Toten, sondern lebendige Männer, Frauen und Kinder befanden. Friedrich würde auch diese Unglücklichen auf dem Gewissen haben.
    Und doch berührte mich die andere Frage mehr: Wie lange es dauern würde, bis das Feuer durch die rückwärtige Wand, die Janas und Miechowitas Haus miteinander teilten, gelangte und meine Familie in Lebensgefahr brachte.
    Dann dachte ich daran, dass in irgendeinem der Häuser, möglicherweise in der Brandzone, Paolo festgehalten werden mochte,und das Stechen in der Seite und die Schmerzen in meinen Füßen und das Pochen des Blutes in meinen Ohren war nichts gegen die nackte Angst, die ich um ihn und um meine anderen Kinder und um Jana empfand. Ich rannte die Vorstadtgasse hinauf wie Kain, der vom Tatort seines Brudermordes flieht, rannte geradewegs auf den Tuchmarkt zu und wusste, dass ich mir mit Zähnen und Klauen einen Weg durch jeden Widerstand bahnen würde, der sich mir entgegenstellen mochte.
    Bei der Allerheiligenkirche schloss jemand zu mir auf: Friedrich von Rechberg.
    »Janas … Haus …«, stieß er hervor, »und … Miechowitas … Haus …« Er keuchte vor Anstrengung. Ich war längst jenseits der Kraft, irgendetwas sagen zu können. Ich nickte. Er hatte seinen Mantel und seine Kopfbedeckung entweder verloren oder weggeworfen; in seinem eleganten dunklen Wams und dem ebenfalls dunklen Hemd darunter war er nicht mehr als ein Schatten in der Dunkelheit. Ich wies ihn nicht ab; ich setzte meinen Weg fort, und er war an meiner Seite. Wir liefen nebeneinander her, um Sankt Adalbert herum und auf den Tuchmarkt hinaus und mitten hinein in eine Schlacht.

    Zuallererst sah ich dies: einen Wirbel aus Funken und Flammen über der Stelle, an der Fryderyk Miechowitas Haus stand. Vor dem grellen Hintergrund eines Blitzes war das Feuer ein rot glühendes Fenster in die Hölle, vor der nächtlichen Dunkelheit ein sonnenfarbenes Tosen. Der Rest war ein Durcheinander von menschlichen Leibern oder was danach aussah – nach allem, was man erkennen konnte, hätten es auch Teufel sein können, die aus der Hölle heraufgekrochen waren, um der Szene auf dem Marktplatz den letzten Schliff zu geben.
    Der Scheiterhaufen loderte im Zentrum des Getümmels – allein. Der senkrechte Pfahl war längst zur Seite gesunken und in der Mitte abgebrochen; was von ihm übrig war, ragte wie ein schwärzlich verkohlter Knochen schräg zwischen den Flammenin die Höhe. An den Eingängen der Sankt-Anna-, der Schusterund der Judengasse hingegen ballten sich die Menschen, wischten die Funkenspuren von Fackeln durch die Luft und ertönte das Gebrüll einer Meute, die etwas in die Finger bekommen und es zerreißen will.
    Friedrich packte mich am Arm. »Warte …«, keuchte er. Ich schüttelte ihn ab. Mir war eiskalt geworden,

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