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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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einschlugen, sah plötzlich eine Fackel neben uns durch die Luft wirbeln, sich überschlagen, auf den Boden prallen, funkenstiebend davonspringen und brennend ausrollen, uns direkt in den Weg. Ich bückte mich im Laufen danach, bekam sie zu fassen und schlug sie durch die Luft, um das Feuer wieder anzufachen. Aus dem Schatten einer der Vorhallen um den Tuchmarkt lösten sich zwei ineinander verkrallte Gestalten und torkelten der Fackel hinterher: zwei Männer, ein alter und ein junger, der Alte umklammerte mit einer Hand den Hals des Jungen und drosch mit der anderen auf sein Gesicht ein, während sein Gegner sich loszureißen versuchte; ich hörte über das Getöse den Alten Schimpfworte kreischen, die ein Flussschiffer nicht farbiger hätte erfinden können.
    »Sie … sind … alle … verrückt geworden!«, stieß Friedrich hervor und wischte sich mit der Hand das Blut von der Stirn und über die Wangen. Sein Gesicht sah aus wie das eines Wilden.
    »Peter, das ist Wahnsinn. Sie reißen uns in Stücke!«
    Ich hörte nicht auf Friedrich. Ich wusste, ich würde mich in das Menschenknäuel dort vorn werfen und mir einen Weg hindurchbahnen oder dabei zertrampelt werden, und das war alles, was ich benötigte. Mit einem anderen Teil meines Verstandes, dem, der mich mit seiner trockenen Stimme ansonsten davorbewahrte, bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Dummkopf aufzutreten, erkannte ich, dass in das Getümmel bei der Sankt-Anna-Gasse Bewegung gekommen war, und die Bewegung lief in eine ganz andere Richtung, als man hätte erwarten können.
    Sie kamen auf uns zu.
    »Um Gottes willen, Peter! Tot kannst du keinem helfen!«
    Friedrich griff mit beiden Händen nach mir und versuchte mich aufzuhalten. Ich fuhr im Laufen herum, bekam sein Wams zu fassen und zerrte ihn herum, verlor die Fackel, die nun endgültig verlosch, brüllte in sein erschrockenes Gesicht mit dem grotesken Blutschmierer auf Stirn, Nasenrücken und Wange: »Verschwinde, mach, dass du wegkommst. Ich habe nicht um deine Begleitung gebeten!« Stolpernd kamen wir zum Stehen.
    Ich stieß ihn von mir und wandte mich ab. Er packte mich erneut. »Hast du nicht!«, brüllte er zurück. »Ich bin trotzdem da! Lass es mich wieder gutmachen!«
    »Was willst du gutmachen?« Meine Stimme überschlug sich. »Willst du Avellino wieder zum Leben erwecken? Miechowita? Willst du mich dorthin führen, wohin man Mojzesz verschleppt hat? Willst du die Angst wegwischen, die Paolo jetzt empfindet, wo immer er ist, und das Entsetzen, das Jana und ich fühlen, seit er verschwunden ist?« Ich gestikulierte zu dem Brand hinüber, der sich hinter den Prunkfassaden an Rand des Platzes in den Himmel schraubte. »Willst du dieses Inferno löschen? Mit deinen bloßen Händen?«
    Ich gab ihm einen Stoß, dass er nach hinten taumelte. Ich wollte, dass er zu Boden fiel, aber er fing sich und stürzte sich sofort wieder auf mich. »Das ist Selbstmord!«, schrie er. »Lass uns einen Umweg finden. Lass uns durch die Gassen bei der Universität laufen. Jetzt kommt es auf ein paar Augenblicke auch nicht mehr an …« Ich holte aus und schlug ihn. Sein Kopf flog nach hinten. Als er mir das Gesicht wieder zuwandte, war seine Lippe aufgesprungen. Seine Augen waren glasig.
    »Lass mich in Ruhe!«, tobte ich. »Hau ab, solange du nochkannst, und renn, so schnell du kannst. Wenn einem aus meiner Familie etwas zugestoßen ist, werde ich dich persönlich verfolgen, und ich werde dich zur Strecke bringen wie einen Hund!«
    »Wie willst du das tun, Gottverdammt nochmal, wenn du dich jetzt den Irren hier in die Messer wirfst …«
    »Warum hast du dir nicht Sorgen um deine Mitmenschen gemacht, bevor du angefangen hast, sie umzubringen?«, schrie ich, riss seine Hände von meinem Wams, drehte mich um, raffte die erloschene Fackel auf und lief los …
    … und da war die Welle aus miteinander kämpfenden Leibern über uns.

    Es war eine Fluchtbewegung, die sie auf uns zugetrieben hatte, und das machte die Situation komplett verrückt. Es sah aus, als würden sie vor dem brennenden Haus davonlaufen, aber das war Unsinn; sie waren ihm nicht einmal nahe genug gewesen, um seine Hitze zu spüren, und was immer der Brand an Rauch entwickelte, wurde von den Windböen zerschlissen. Ich sah über ihre Köpfe und Schultern hinweg in die Sankt-Anna-Gasse hinein, aber von dort kam niemand gelaufen, der sie vor sich hergetrieben hätte. Ich stieß jemanden beiseite, der an mich geprallt und sich an mir festzuklammern

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