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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Flechtwerks durch den angrenzenden Lagerraum unter Janas Dach geschleudert, und was immer darin war (Tuchballen? Gewürze? Das Holz für den großen Ofen?), war aufgeflammt und hatte so das Todesurteil über das Haus Dlugosz gesprochen, noch bevor sich die Insassen auch nur annähernd dessen bewusst waren. Die Lagerräume in Janas Erdgeschoss waren nur durch Bohlenwände voneinander getrennt, die man ohne großen Aufwand hätte versetzen können, wenn die Umstände dies nötig machten – eine kluge Voraussicht von Janas Vater oder von dessen Vater, die jetzt allerdings das Verhängnis bedeutete. Das Feuer fand in dem trockenen alten Holz weitere Nahrung, sprang von Lagerraum zu Lagerraum, breitete sich im Erdgeschoss aus, tobte hinter den verschlossenen Türen zum Gang ungehindert fort und versperrte allen Menschen, die sich im Obergeschoss aufhielten, den Ausweg. Das Haus Dlugosz war für die, die darin waren, zu einer Todesfalle geworden.
    Ohne dass sie dies alles auch nur ahnen konnte, muss Jana etwa um die Zeit herum, in der das Feuer in Miechowitas Haus sich aufmachte, das Dach in Flammen zu setzen und sich entdecken zu lassen, an ein Fenster getreten sein und über die Dächer der Stadt geblickt haben.
    »Man riecht das Feuer bis hierher«, sagte sie.
    Daniel wechselte einen Blick mit Sabina und trat neben Jana.
    »Der Rat und die Bürger werden es nicht so weit kommen lassen, dass Menschen darauf verbrannt werden«, sagte er. Jana starrte zum Fenster hinaus, ohne zu antworten. Daniel holte Atem.
    »Er wird zurückkommen«, sagte er schließlich. »Vater kommt zurück. So viel Vertrauen habe ich.«
    »Hoffentlich kommt er rechtzeitig«, flüsterte Jana.

    In Kleparz hockte der Hauptmann der Wache bei seinen Scharführern und besprach seine Entscheidung mit ihnen. Er wusste, dass sie – und damit alle Männer – ihm letztlich folgen würden, wenn er befahl, weil sie keine Möglichkeit hatten als zu gehorchen; aber da ihm die Tragweite der Entscheidung für die Zukunft der Stadt bewusst war, wollte er, dass die Leute überzeugt waren. Er sprach in aller Offenheit aus, was alle wussten, bislang aber niemand gesagt hatte: dass man die Fußwache (hauptsächlich Söhne, Brüder und Väter polnischer Handwerkerfamilien) nach Kleparz geschickt hatte, weil man ihr misstraute, und dass man mit der Aufgabe, sie zu bewachen, auch die berittene Wache aus der Stadt geschafft hatte, was ebenfalls ein Misstrauensbeweis war. Dass der Rat über die Jahre hinweg ein Ungleichgewicht geschaffen hatte zwischen Polen und Deutschen, dass die Stadt dabei zwar prosperiert hatte, dass nun aber die Möglichkeit eines Wandels vor der Tür stand. Er schüttete ihnen sein Herz aus, weil er sie seit langem kannte und weil er spätestens seit dem Einsatz gegen Julius Avellino auf dem Marktplatz, der in ein blutiges Massaker hätte umschlagen können, wenn nur einer von ihnen die Nerven verloren hätte, auf sie alle stolz war wie ein Vater auf seine Söhne.
    Dann stürzte jemand in das Lagerhaus herein und schrie: »Hauptmann, die Stadt brennt!«
    Der Hauptmann und seine Scharführer drängten zum Tor hinaus. Die Stadt war zu weit entfernt, als dass das Feuer seinen Widerschein auf ihre Gesichter hätte werfen können, doch sie spürten alle den Hauch einer plötzlichen Hitze, die ihnen wie ein Windstoß unter die Kleidung fuhr, einer Hitze, die sie auf die Entfernung gar nicht spüren konnten und die ihnen weniger über die Haut als bis ins Herz drang. Über dem nördlichen Stadtteil erhob sich eine spitze Feuerlanze, die umtost war von Blitzen und gepeitscht von den Windböen des Gewitters. Jeder von ihnen meinte das Bersten von Mauern zu hören und das Röhren, mit dem brennende Dächer einstürzten. Siestarrten mit offenen Mündern auf den Horror, der sich ihnen bot.
    »Das ist im Schusterviertel«, stieß einer hervor.
    »Nein, dahinter, im Judenviertel.«
    »Das ist bei Sankt Anna«, sagte der Mann, der sie herausgerufen hatte.
    Der Hauptmann brauchte nicht in die Gesichter seiner Männer zu blicken, um zu wissen, woran sie bei der Nennung dieses Namens dachten.
    »Die Fußwache raus«, sagte er beinahe leise. »Reiter: sofort aufsitzen. Wer sein Pferd abgesattelt hat, reitet auf dem bloßen Rücken. Volle Bewaffnung. Die Brunnenschar öffnet die Wasserspeicher; wenn der Brunnenmeister sich widersetzt, sperrt ihn ein. Die anderen trommeln die Zunftmeister aus den Betten oder sammeln sie in den Gassen ein. Wir können das noch in den

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