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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Einatmen wurde zu einem Gurgeln, einem Husten, einem Erschrocken-in-die-Höhe-springen, und jeglicher Kampfgeist erlosch. Wer den Bürgermeister schreien gehört hatte, drehte sich um und spähte in die Richtung, in die er zeigte (ich kannte die Richtung, ich hätte sie blind zeigen können, mein Herz trommelte, wenn ich nur daran dachte). Der Scheiterhaufen zischte und brüllte auf, ich roch heißen Dampf, als die Wassermassen auf ihn fielen und von der Hitze verschluckt wurden, er wehrte sich dagegen, gelöscht zu werden, und sah durch den Regenvorhang noch mehr wie das Tor zur Hölle aus als vorhin. Der Brand in der Sankt-Anna-Gasse leuchtete dunkelrot durch den Regen. Die Gestalten rings um uns herum verloren ihre Identität, als würde der Schauer sie wegwaschen, plötzlich sah einer aus wie der andere, dunkel, unkenntlich, nass, sichzuckend bewegende Figuren in einer ebenso zuckenden Welt, in der die herabfallenden Regenschnüre mit jedem Blitz schwarz wurden; Staub und Sand auf dem Platz verwandelten sich in Schlamm, Unebenheiten in Pfützen und Pfützen in Sekundenschnelle in Wasserlöcher; wer auf dem Boden gelegen hatte, versuchte in die Höhe zu kommen, wer gekauert war, verlor den Halt und fiel der Länge nach hin; so musste es ausgesehen haben, als Gott der Herr die Welt in der Sintflut ertränkt hatte; der Rathausturm ragte mächtig über allem auf wie die Arche, und in gewisser Weise hatte diese Arche tatsächlich die Rettung gebracht für die Leute auf dem Platz.
    » feuer !«, kreischte jemand, der das Läuten der Rathausglocke, das Läuten der anderen Sturmglocken im Kampfeseifer völlig ignoriert hatte und nun voller Entsetzen das rote Leuchten sah, das über die Häuser an der Nordwestfassade des Platzes glühte. Ich fühlte undeutlich Friedrich von Rechberg an meiner Seite und sah den Bürgermeister nur wenige Schritt entfernt vor mir stehen, die Ratsherren und Joseph ben Lemel hinter sich. Sie starrten alle in die Richtung, in die Betmann gewiesen hatte; die Kämpfenden starrten dorthin; Friedrich starrte dorthin (Miechowitas Haus brannte dort, und Janas Haus brannte dort auch, und meine Lieben waren in diesem Brand eingeschlossen); vermutlich war ich der Einzige, der die Blicke dem Bürgermeister und seinen Begleitern zugewandt hatte, und deshalb war ich auch der Erste, der die Reiter sah, die durch den Durchlass zwischen Rathaus und Tuchhallen preschten, ihren Anführer vornweg, eine donnernde Kavalkade, um die herum das Wasser aufspritzte, so dass sie über dem Boden zu schweben schienen, die Reiter der Apokalypse. Wer Spieße führte, trug sie in die Armbeuge geklemmt wie Turnierlanzen, wer Schwerter besaß, hatte sie hocherhoben. Der Anführer der Reiter wirbelte sein eigenes Schwert über dem Kopf und hielt direkt auf Bürgermeister Betmann und die Ratsherren zu.

    Ich weiß noch, wie ich dachte: Im Augenblick persönlicher Größe den Tod zu finden kann kein so schlechtes Ende dieses Jammertals sein. Im selben Augenblick dachte ich jedoch auch: Ich nicht! Ich werde leben! Und meine Lieben werden es auch!
    Ich warf mich herum. Ein Mann stand mir im Weg. Ich stieß ihn so hart beiseite, dass er einen Satz machte und wie ein Lumpenbündel zu Boden stürzte. Das Wasser lief mir in die Augen und machte mich halb blind. Ich hatte das Gefühl, mich so träge zu bewegen, als sei ich unter Wasser, und in gewisser Weise war ich es. Der Scheiterhaufen kämpfte gegen den Regenguss an und zischte und knallte und sprühte Funken, stank wie nasses Hundefell und sandte erstickenden Rauch zu alldem Dampf aus, der ihm entströmte. Jeder, den ich ansah, schien sich ebenso langsam zu bewegen wie ich, Schwimmer in der Hölle, die ohne Ziel herumpaddelten, und obwohl ich wusste, dass alle in Wirklichkeit hektisch herumrannten, sah ich es doch mit dieser Trägheit, die wie aus einem Traum war. Selbst die Geräusche waren verlangsamt, das Donnern ein abgrundtiefes Rollen, das man weniger hörte als vielmehr spürte, das Geschrei, das mit dem Eintreffen der Reiterei wieder eingesetzt hatte, wie das tiefe Brummen von Fröschen und genauso unartikuliert. Ich merkte, dass Friedrich plötzlich verschwunden war, aber es kümmerte mich nicht. Ich schob Körper beiseite und drängte mich rücksichtslos durch das Gewühl. Niemand versuchte mich zu packen. Eine Wellenbewegung ging durch den Ring aus Menschenleibern, der sich um den Scheiterhaufen gebildet hatte, und das Geschrei wurde spitzer und erschrockener, ich

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