Der Sohn des Tuchhändlers
merkte, dass ich auf einmal wieder alles so sah, wie es sich gehörte, und in dieser wieder erlangten Normalität erblickte ich eine Abteilung Soldaten zu Fuß, die im Laufschritt auf den Platz rannten. Wer in ihrer Nähe war, versuchte instinktiv zu entkommen und drängte zum Zentrum hin, das Zentrum drängte auseinander, weg von den Reitern, die jetzt ausschwärmten. Ich wurde herumgestoßen, drehte mich einmal um mich selbst, sah, wie Bürgermeister Betmann zurückwich undder Anführer der Reiter ein Bein über die Kruppe seines Gauls schwang, das Schwert noch immer durch die Luft flirrend, und im vollen Galopp absprang, den Schwung ausnutzte und auf den Bürgermeister zurannte …
… ich griff nach einem Wams und zerrte daran, der Mann ging zu Boden, ich konnte plötzlich erkennen, dass ich mich gleich durch die Menge nach draußen gearbeitet hatte, ein anderer Mann sah mich auf sich zuspringen und duckte sich, der Kreis schloss sich wieder hinter mir, und ich war frei.
Ich zögerte keinen Augenblick. Von rechts kam das Wachkontingent angelaufen, wahrscheinlich, um den Platz abzuriegeln. Joachim Betmann musste bereits tot sein; für Weigel und die anderen beiden Ratsherren gab ich keinen Heller, und Joseph ben Lemel würde in den nächsten Momenten ebenfalls seinem Schöpfer gegenübertreten. Wenn die Wachen den Platz absperrten, bevor es mir gelungen war, die Sankt-Anna-Gasse zu erreichen, hatte ich keine Chance mehr, zu den brennenden Häusern zu gelangen. Ich sah sie durch den Regen und die Finsternis herantraben, eine Welle aus dunklen Leibern mit aufgepflanzten Lanzen, die unaufhaltsam an Land rollt. Ich merkte, dass ich eigentlich keine Kraft mehr hatte und taumelte doch durch das Unwetter über das Pflaster, rutschte und glitt aus und fing mich im letzten Moment. In meiner Seite stach der wiedererwachte Schmerz ärger als je zuvor. Aus der Mündung der Sankt-Anna-Gasse leuchtete das Glühen des Feuers; vielleicht hätte ich die Gasse nie erreicht, wenn ich nicht einfach auf dieses Licht zugerannt wäre.
Ich sah sogar durch den Regen, dass Miechowitas Haus nicht mehr zu retten war, und sollte noch irgendeine lebende Seele darin gewesen sein, dann war für sie jede Hoffnung verloren. Die heftigen Windböen hatten das Feuer von der Universität gegenüber weggedrückt und sie gerettet, und die Sankt-Anna-Kirche schützte der Umstand, dass zwischen ihr und Miechowitas Haus ausreichend freier Platz gewesen war. Ich sah Eimer und Ledersäcke herumliegen, flackernd erhellt von den Blitzen undin ihren vom Feuer rot erleuchteten Pfützen wie in frischem Blut liegend. Die Regentropfen, die in die Pfützen fielen und sie wild aufspritzen ließen, waren ebenfalls mehr Blut als Wasser. Die Gasse wand sich unter den Dolchstichen des Regenschauers. Die Dozenten, Knechte und Studenten, die die Eimer bemannt haben mussten, waren verschwunden, entweder vom Regen vertrieben oder von der Vergeblichkeit ihres Tuns. Ein Augenblickseindruck das alles, mehr nicht; ich glitt aus und stürzte diesmal tatsächlich, als ich in die Gasse vor Janas Haus einbog, fiel wie in seichtes Wasser, bekam etwas in den Mund und in die Nase und fühlte, wie mein Bewusstsein einen kurzen Sprung machte, als mir die Luft wegblieb, dann kam ich spuckend und würgend wieder auf die Füße, mein Leib stach an tausend Stellen, doch ich hatte mir nichts gebrochen. Die Gasse war ein einziger zuckender blutroter Darm, der zitterte und toste und dessen Färbung auch die Blitze nicht wegflackern konnten: das in hellen Flammen stehende Haus Janas färbte alles ein, und auch wenn …
… hier die Löschversuche nicht aufgegeben worden waren …
… und die Knechte und Buchhalter Janas eine Eimerkette zur Zisterne an der Kreuzung der Schustergasse gebildet hatten, eine lächerliche Aktion angesichts des Wassers, das vom Himmel prasselte und unter dem sich das Feuer duckte und dagegen anfauchte wie ein lebendes Wesen, wütend und mächtig und dampfend und stinkend und brüllend, ein Drache im Pfeilhagel, der ihn nicht verletzt, sondern nur in Raserei versetzt …
… und zwischen den bekannten Gesichtern einige unbekannte waren, die nicht weniger hektisch versuchten, das Feuer einzudämmen, auf den Hinterköpfen Jarmulken balancierend oder lange, triefend nasse Bärte und Schläfenlocken an ihre Köpfe geklatscht …
… so war doch eines klar: Janas Haus war ebenso dem Untergang geweiht wie das Fryderyk Miechowitas, und wer immer darin sein mochte, war
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