Der Sohn des Tuchhändlers
verloren.
Ich hörte mich schreien: » n-e-e-e-i-i-i-n !!«
Ich sah, wie von der Schustergasse her eine Gruppe Bewaffneter in flatternden Mänteln in die Gasse eindrang, die Lanzen erhoben. Ich schlitterte in die Eimerkette hinein, warf einen der Männer um und fiel in ihn verheddert zu Boden, trat ihn, als ich auf die Beine zu kommen versuchte, wurde hochgerissen und festgehalten …
»Herr Bernward …«
»Lasst mich los, ihr Narren!«
Ich fegte Hände beiseite und dann zwei weitere Glieder in der Eimerkette, stürzte durch das Tor und in den Innenhof, wo die Hitze des Feuers und die Nässe des Regens einen brüllenden Dampfkessel geschaffen hatten, wurde erneut festgehalten und fast zu Boden gerissen …
»Herr Bernward, nein, Sie können nicht hinein …«
»Verschwindet, nehmt eure Hände weg, lasst mich …!«
Es waren zu viele. Immer mehr packten mich und rangen mich zu Boden, besorgte Gesichter, entsetzt aufgerissene Augen, Hände, die vor Schreck zitterten. Ich wand mich. Ich sah die Bewaffneten durch das Tor kommen, die Löschenden rannten auseinander, die Lanzen tanzten über den Köpfen, und die Mäntel flappten wie die Schwingen von Racheengeln um sie herum …
… die Lanzen waren Feuerhaken, die Mäntel die Lederumhänge, mit denen man sich vor den Flammen zu schützen versuchte, und ich erkannte, dass es nur ein halbes Dutzend Wachen war, die anderen Männer, die mit den Werkzeugen, waren Handwerker der Zünfte, die zur Feuerbekämpfung ausersehen waren, und zwischen ihnen rannten, barhäuptig, triefend nass und Befehle brüllend, die Ratsmitglieder, die sich auf den Platz herausgewagt hatten, komplett mit Bürgermeister Betmann, Laurenz Weigel und Joseph ben Lemel.
»Lasst mich rein, ihr verdammten …«
»Nehmen Sie Vernunft an, Berwand. Wenn Sie da reingehen, ist es Ihr Tod!«
»Rutschen Sie mir den Buckel runter, Betmann! Und ihr, nehmt eure Pfoten weg. Ich …«
»Es ist Wahnsinn. Hören Sie auf den Bürgermeister!«
»Meine Familie ist da drin!!«
»Er hat recht, Reb Bernward, Sie können nicht …«
»Lemel, Sie Narr! Samuel ist auch da drin! Und Zofia. Ihre Zofia, Weigel – ich habe sie alle in diesem Haus versammelt …«
»O Gott Abrahams …«
Weigel packte mich und riss mich in die Höhe. Er brüllte mich an, ohne mich anzusehen. Sein Gesicht war nicht mehr wieder zu erkennen. »Warum haben Sie das getan, Sie Bastard?« Er ließ mich los und taumelte zurück. Er streckte eine Hand zu dem brennenden Gebäude aus. Er riss den Mund auf und schrie etwas. Was es war, ging im Brausen des Feuers unter.
Jemand half mir auf die Füße. Ich erkannte den alten Buchhalter, der den Hinterausgang besetzt hatte. »Frau Jana hat uns nach Hause geschickt, damit wir unsere Familien hierher brächten«, haspelte er. »Als ich zurückkam, war das Haus bereits …«
Ich hörte ihm nicht zu. Ich erblickte Joseph ben Lemel, der auf dem Boden kauerte, die Arme über dem Kopf ausgestreckt, er schien sich vor dem Feuer zu verneigen, während er zu dem Gott betete, der seinem Volk den Messias versprochen, ihn aber nur zu uns gesandt hatte. Laurenz Weigel hatte das Gesicht in den Händen vergraben und stolperte hin und her. Aus den Fensteröffnungen im Obergeschoss von Janas Haus schlugen die Flammen, der Dachstuhl brannte so grell, dass die Balken darin die schwarzen Rippen in einem Leib aus Feuerglut waren. Die Luft war zum Ersticken. Einige von den Handwerkern schüttelten die Köpfe und drängten wieder nach draußen, andere husteten krampfhaft. Bürgermeister Betmann wich zurück, als einer der Bewaffneten ihn sanft nach draußen schob. Ich erkannte den Anführer der Berittenen; aber ich erkannte noch etwas anderes:
Zwei der Fenster waren von den Flammen verschont. Sie waren dunkel. Sie waren verschlossen. Jemand hatte die Läden geschlossen. Jemand, der dahinter war und vielleicht noch …
Ich schlug die Hände des Buchhalters, der auf mich einredete und dessen Stimme so klang, als würde er weinen, während der Regen auf seine Wangen prasselte, beiseite, und rannte los. Wenn in der Hölle Feuer brannte, dann sah der Eingang so aus wie der zu Janas Haus, wenn die Hölle aus Eis war, dann war sie so kalt wie mein Körper, und wenn die Hölle Verzweiflung war, dann trug ich sie in meinem Herzen. Die Tür stand halb offen. Ich stieß sie ganz auf. Ich war in der Hölle.
Es war nicht die Hitze, auch wenn sie überwältigend war. Es war nicht der Rauch, auch wenn er in Augen, Nase und Kehle
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