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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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gleichzeitig stach und mir den Hals zuschnürte. Es war nicht der Lärm, dieses Mahlen und Reißen und Prasseln, das mich halb taub machte. Es war die Dunkelheit, die mich am meisten entsetzte. Ich hatte angenommen, ein Haus, in dem ein Feuer tobt, müsse von ihm hell erleuchtet sein, doch es war absolut finster. Der Rauch schluckte jedes Licht. Ich wusste, dass ich im Kontor der Buchhalter war, doch ich konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen. Ich hustete und keuchte. Mir wurde klar, dass ich nicht viel Zeit hatte – entweder der Rauch oder das Feuer würden mich kriegen, wenn ich mich nicht beeilte. Bis jetzt hatte ich nur Angst um meine Familie gehabt … nun fühlte ich zum ersten Mal Furcht um meine eigene Haut. Feuer, dieser alte Freund des Menschen, von dem wir nur glauben, wir hätten ihn an die Kette gelegt … es war immer meine geheime Angst gewesen, den Feuertod zu sterben, doch nicht einmal mit dem Scheiterhaufen im Rücken, vorhin auf dem Tuchmarkt, hatte ich wirklich geglaubt, dass er mir bestimmt sein könnte. Während ich hustend und mit tränenden Augen durch den Raum torkelte, die Arme ausgestreckt auf der Suche nach der linken Wand, in der der Durchgang zum Flur sein musste, schien mir plötzlichdie Möglichkeit, in den Flammen umzukommen, entsetzlich wahrscheinlich.
    Ich prallte an die Wand und tastete mich an ihr entlang. Das Atmen fiel mir schwer. Ich hätte mir etwas um den Kopf wickeln sollen; ein nasses Tuch; ich hätte mir einen der Lederumhänge schnappen sollen; ich hätte gar nicht hier eindringen sollen. Ich dachte an die beiden verschlossenen Fenster und arbeitete mich weiter voran. Die Wand war warm. Ich kannte sie nur kalt und feucht, wie es Steinwände an sich haben. Das ganze Haus war zu einem Kachelofen geworden. Wenn es oben ähnlich verraucht war wie hier, kam ich auf jeden Fall zu spät. Ob die Flammen den Raum hinter den verschlossenen Fenstern erreicht hatten oder nicht, seine Insassen würden mittlerweile erstickt sein. Ich zwang meine Gedanken in eine andere Richtung, doch da stand mir der eigene Tod vor Augen, und mein Hirn rotierte.
    Ich fiel durch die Türöffnung in den Flur. In Bodennähe war das Atmen leichter. Hier war auch die Dunkelheit nicht so vollkommen; dort, wo das Treppenhaus sein musste, leuchtete es düster von oben herunter und ließ mich wenigstens die Wände links und rechts sehen. Den Rauch einzuatmen war wie heißen Sand in die Kehle zu bekommen. Ich hustete und würgte und versuchte mich zu erbrechen, aber nichts kam hoch. Meine Augen waren heiße Steine, die von einer unsichtbaren Hand in den Schädel zurückgedrückt wurden. Ich hatte keine Chance, und ich wusste es. Ich kam auf die Knie und kroch weiter voran, bis mich ein zweiter Hustenanfall zusammenbrechen ließ. Hitze buk mein Gesicht. Das ganze Treppenhaus musste in Flammen stehen. Die Stufen waren aus Stein, aber die Verkleidung war aus Holz, und was ich dort vorn so undeutlich durch den Rauch schimmern sah, musste dieses Holz sein – ein Flammenmeer. Hier würde ich nicht ins Obergeschoss kommen … es gab noch einen Weg, den, den Paolo genommen hatte, aber ob ich ihn erreichte.,. ich drehte mich um und versuchte ins Kontor zurückzukriechen, aber erst als ich mit dem Kopf an die Wand desFlurs stieß, wurde mir klar, dass ich die Orientierung verloren hatte, und was dann kam, war ein Augenblick so vollendeter Panik, dass ich nicht einmal schreien konnte.
    Dann fühlte ich, wie mich jemand packte und mit sich zerrte. Ich stieß mir den Kopf erneut, dann prallte ich mit der Schulter gegen den Durchgang, meine Schienbeine schrappten über die Schwelle, mein Retter und ich stolperten aneinander geklammert durch das Kontor, und wir waren wieder draußen. Der Regen prasselte sofort auf uns ein. Ich hatte das Gefühl, er war heiß. Mein Retter ließ mich los, und ich sank auf die Knie und blinzelte durch das herabstürzende Wasser zu ihm hoch. Rauch und Dampf stiegen von meiner Kleidung hoch.
    »Friedrich«, flüsterte ich.
    »Sind sie noch drin?«, schrie er. »Sind sie noch drin?«
    »Das hintere Treppenhaus«, hörte ich mich flüstern. Innerlich schrie ich, aber es kam nicht lauter heraus.
    Er nickte und wandte sich ab. Ich sah, dass er einen der Lederumhänge trug. Er band sich etwas um sein Gesicht – einen Schleier. Nass war er vom Regen ohnehin. Ich rappelte mich auf und taumelte ihm hinterher. Er fuhr herum.
    »Bleib hier!«, brüllte er mir ins Ohr.
    »Ich komme mit …«
    Er

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