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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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stieß mich zurück. Ich setzte mich in eine Pfütze. Vor dem Hintergrund der Flammen sah ich seine Silhouette. Er hob die Hand, drehte sich um und verschwand im Eingang. Ich kam auf die Knie.
    »Friedrich!«, krächzte ich und krabbelte ihm hinterher. »Warte!«
    Andere Hände packten mich und hielten mich fest … drückten mich nieder … ich tauchte in einer Pfütze unter und dachte, ertrinken zu müssen, aber ich wurde wieder hochgerissen … ich hielt mich an den Händen fest und zog mich in die Höhe … meine Knie bebten, doch ich konnte stehen … und ich sah Janas Haus.
    Es schrie.
    Es tobte.
    Es starb.
    »Friedrich, warte!«
    Ich riss mich los.
    Ich …
    Es ist schwer. Die Dinge schienen alle gleichzeitig zu geschehen, und meine Erinnerung ist keine Hilfe.
    Schossen unter den geschlossenen Fensterläden plötzlich doch Flammen hervor, Augenblicke bevor sie von der Explosion herausgeschleudert wurden? Oder bilde ich es mir nur ein? Hörte ich die Schreie? Oder erinnere ich mich nur deshalb daran, weil ich sie in meinen Träumen immer noch zu hören glaube? Alle sagen, über dem Getöse könne ich nichts gehört haben, niemand habe etwas gehört, aber ich weiß, dass ich sie vernommen habe. Man hört nicht nur mit den Ohren. Hörte ich, wie die Menschen starben, die sich darauf verlassen hatten, dass ich ihnen rechtzeitig zu Hilfe kommen würde?
    Die Fensterläden blähten sich auf einmal, ich sah das rautenförmige Glutmuster entlang der Bruchstellen noch in meine Augen eingebrannt, als die Stücke schon durch die Luft wirbelten und zwei Flammenzungen aus den nun offenen Fenstern röhrten, die nach den Menschen im Innenhof zu greifen schienen. Jemand mit einem schweren Lederumhang warf sich auf mich und stieß mich dabei wieder zu Boden. Er rettete mir dadurch das Leben. Der Hagel aus kleinen und großen Splittern der Fensterläden zischte um uns herum und prallte auf den Boden wie Geschosse, ohne uns zu verletzen, und ich prallte ebenfalls auf, ein schweres Gewicht krachte auf mich und stieß meine Stirn auf einen Pflasterstein, und ich kämpfte noch darum, bei Bewusstsein zu bleiben, als ich es schon längst nicht mehr war und in einer Dunkelheit versank, in der es keine Flammen gab und keine Schreie, nur das Vergessen und den kühlenden Schatten des Nichts.

    Ich schwamm … nein, ich tauchte … ich war unter Wasser, und es war kühl, beinahe zu kalt. Ich fror noch nicht, aber ich würde es bald tun. Ich hatte noch Luft, aber auch diese würde mir bald ausgehen. Ich stellte fest, dass ich langsam nach oben trieb, und als ich daran dachte, die entsprechenden Arm- und Beinbewegungen zu vollführen, trieb ich schneller. Ich fragte mich, was ich hier tat, und noch dringender fragte ich mich, was ich getan hatte, bevor ich hier unter Wasser gelandet war, doch die Erinnerung wollte sich nicht greifen lassen. Ich hörte die Geräusche, die das Wasser machte – ein an- und abschwellendes Tosen, ein Prasseln und Gluckern und ein ständiges wirres Hin und Her, als wären Stimmen zu hören, aber ich war doch allein hier, und da merkte ich, dass ich die Augen geschlossen hatte und riss sie auf, um zu sehen, ob ich wirklich allein war, und …

    »… er ist wieder da«, sagte eine Stimme.
    Ich merkte, dass ich auf den Beinen stand. Ich war von zwei Seiten untergehakt. Hitze traf meinen Rücken, an der Vorderseite war mir eiskalt. Ich begann zu zittern und versuchte zu erkennen, wer mich führte. Ich sah auf der einen Seite ein tuchumwickeltes Gesicht und spürte die schwere Nässe eines Lederumhangs.
    »Friedrich«, lallte ich, »hast du sie gefunden? Sind sie in Sicherheit?«
    Er antwortete nicht. Ich versuchte mich umzudrehen, um das Haus sehen zu können, doch mein Körper war wie gelähmt. Alles, was ich konnte, war, gestützt von den beiden Männern an meiner Seite, vorwärts zu stolpern. Um uns herum rannten Gestalten zum Tor hinaus. Wir waren mitten unter ihnen und wurden gestoßen und gerempelt.
    »Es greift auf die Judengasse über!«, hörte ich jemanden schreien.
    »Haltet es auf!«
    »Wenn dieser Regen es nicht aufhält, wer dann?«
    »Wir müssen eine Bresche schaffen!«
    »Die Hämmer, wo sind die Hämmer?«
    »Die Obstbäume in den Hinterhöfen. Fällt die Obstbäume!«
    »Setzen Sie sich hier hin«, sagte die Stimme, die zuerst gesprochen hatte. Wir waren außerhalb des Tores. Ich wurde beiseite geführt. Als ich die Mauer im Rücken spürte, lehnte ich mich dagegen. Ich machte die Knie steif und

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