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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Frage nach Jana wollte mir nicht über die Lippen. Im Dachgeschoss war siejedenfalls auch nicht zu finden. Auf dem Weg zurück ins Erdgeschoss traf ich auf Paolo.
    »Hast du deine Mutter irgendwo gesehen?«
    Er schüttelte den Kopf und nahm ganz selbstverständlich meine Hand, als ich nochmals in das Schlafzimmer hineinspähte. Das Bett war immer noch zerknittert. Dann sah ich die Tür links neben dem Betthaupt, die im selben rot-grünen Rautenmuster bemalt war wie die Wände, und den Lichtschein, der dünn unter dem Türblatt hervor ins Halbdunkel des Schlafzimmers rann.
    Jana hatte hier ein Arbeitszimmer eingerichtet, das ich sie in all den Jahren nur ein halbes Dutzend Mal hatte benutzen sehen. Zweimal davon war es nach einem Streit geschehen, in dem keiner von uns nachgegeben hatte und Jana schließlich dort hineingeflüchtet war, um in ihrem Zorn nicht noch mehr unüberlegte Dinge zu sagen. Einmal hatte sie sich einen ganzen Tag dort vergraben, um ein riskantes Geschäft mit Gewürzen wieder und wieder durchzurechnen und sich darüber im Klaren zu werden, ob sie es eingehen wollte oder nicht. Bei einem weiteren Mal war der Grund meinem Gedächtnis entschwunden, und die verbleibenden beiden Male waren kurz nach unseren Streiten gewesen, als ich ihr gefolgt war und wir uns gegenseitig um Verzeihung gebeten und danach den Umstand genutzt hatten, dass sich in dieses Zimmer auch am Tag so gut wie nie irgendwelche Dienstboten verirrten.
    Paolo deutete auf den Lichtschimmer und stieß mich in die Seite, und ich grinste ihn an und packte den Knauf und zog die Tür auf, obwohl etwas in mir plötzlich sagte: Tu es nicht.
    Der Raum nahm die gesamte Breite des südwestlichen, schmalen Gebäudeflügels ein und war bei aller Enge zu groß für die spärliche Möblierung: eine Truhe, ein Tisch mit zerkratzter Platte und einem lederbeschlagenen Stuhl davor, ein weiteres Stehpult von der Art, wie es im Saal zu finden war. Neben das Stehpult hatte jemand einen schweren Leuchter auf Klauenbeinen gestellt, aus dessen Ölschale Flammen schlugen und denRaum mit ranzigem Geruch erfüllten; ein zweiter Leuchter hing von der Decke und spreizte Schalen auf Löwenklauen in alle vier Himmelsrichtungen, ebenfalls befeuert, ebenfalls den Raum einräuchernd. Jemand hätte ein Fenster öffnen sollen, aber sie hatten nicht daran gedacht.
    Sie fuhren auseinander. Die Ölfeuer beleuchteten zwei gerötete Gesichter. Eine Haarsträhne war unter Janas Haube hervor und in ihre Stirn gerutscht. Ihr Besucher war barhäuptig; sein Hut lag auf der Tischplatte, und sein Haar sah aus, als hätte jemand hineingefasst und es kräftig gerauft. Mit ihrem Auseinanderfahren gaben sie den Blick auf die Arbeitsplatte des Schreibpults frei. Sie war leer.
    »Ich bin wieder zurück«, sagte ich töricht.
    Welchen Gedanken hatte ich vorhin im Schlafzimmer plötzlich gehabt … und sofort wieder beiseite geschoben? Ich sah in Janas Augen und fand meinen Gedanken darin wieder, und ich erkannte, dass sie wusste, dass ich ihn gedacht hatte.
    Der elegant gekleidete Mann räusperte sich und strich sein Haar glatt. Er zögerte nur so lang, dass es peinlich wirkte, dann schritt er auf mich zu und streckte die Hand aus.
    »Gott zum Gruße«, sagte er beinahe akzentfrei. »Wir hatten heute schon das Vergnügen, uns zu begegnen. Es war unten, im Kontor, nicht wahr?«
    Ich schlug die Hände auf dem Rücken zusammen und sah auf seine ausgestreckte Hand hinunter, bis er sie sinken ließ.
    »Sie haben mich für einen Dienstboten gehalten«, sagte ich. »Falsch geraten.«
    Er räusperte sich erneut und begann, sich zu Jana umzudrehen, erkannte dann, dass das noch peinlicher gewesen wäre als alles andere, und ließ es sein. Wenn er gehofft hatte, dass Jana von sich aus etwas sagen würde, um die Verlegenheit zu überbrücken, hatte er sich getäuscht. Ich hatte gehofft, dass sie es tun würde.
    Er legte die Hände ebenfalls auf dem Rücken zusammenund machte einen vergeblichen Versuch, meinem Blick standzuhalten. Ohne seinen Hut wirkten seine Züge jungenhaft kühn – hoch angesetzte Wangenknochen, eine lange, schmale Wangenlinie, eine scharfe Nase, schmale Lippen, alles in allem ein vollkommenes Gesicht, das Veit Stoß vermutlich zu einem entzückten »Ja so was!« genötigt hätte. Sein Haar war schwarzglänzend, nicht mehr eingeölt als erforderlich und nicht so stark parfümiert, dass es den Rauchgeruch im Raum übertönt hätte. Er musste mehr als zwanzig Jahre jünger sein als

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