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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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nicht wissen tun – ich werd Ihnen sagen. Kommen Sie mit.«
    Er ging vor mir her aus dem Zimmer hinaus, und ich hatte Zeit festzustellen, dass seine Beine sich dem allgemeinen Entwurf seines Körperbaus nicht verweigert hatten – nur dass mich mittlerweile mehr interessierte, wofür er mich eigentlich hielt. Möglicherweise war ich heute langsamer als sonst, aber dass wir auf eine Weise, die sich mir noch nicht erschlossen hatte, aneinander vorbeiredeten, begann mir langsam zu dämmern. Wenn mir eine andere direkte Lösung eingefallen wäre außer nur zu blöken: Keine Angst, derjenige, der Ihre Tochter geschändet hat, wird den Mund halten. Wie viel wollen Sie, dass Sie es auch tun ?, hätte ich die merkwürdige Situation vielleicht auflösen können. So trottete ich nur hinter ihm her, lediglich sicher in dieser einen Sache: Tatsächlich so etwas Herzloses zu blöken hätte ich nicht über mich gebracht.
    Weigel führte mich den schmalen Gang entlang, auf dem ich hierher gekommen war, bis zu einer Treppe, die sich in einem dunklen Winkel emporwendelte. Er stieg vor mir her die Stufen hinauf. Obwohl es dunkel war, bewegte er sich sicher und mit der seltsam lautlosen Grazie aller Dicken; er schien den Weg in- und auswendig zu kennen. Am Ende der Treppe war eine massive Tür. Weigel schwang sie auf. Der Duft von Kräutern, vermischt mit dem von Sägemehl, Staub und muffig gewordenem Stoff, schlug uns entgegen, zusammen mit einer trockenen Hitze. Vor uns erstreckte sich ein langer Raum, der sicherlichden größten Teil der Grundfläche des Hauses einnahm. Am anderen Ende lag gleißende Helligkeit. Ich musste blinzeln, um festzustellen, dass es eine Öffnung war, breiter als eine Tür, dafür aber niedriger, durch die das Sonnenlicht hereinfiel. Der Raum war so düster, dass das Licht blendete. Undeutlich zeichnete sich eine Konstruktion wie die eines Galgens im Gleißen ab. An kreuz und quer gespannten Leinen hingen Stoffe: kurze Stücke wie Flaggen hier, lange Tuchbahnen, die sich über mehrere Seile hinwegzogen, dort. Wo sie weit genug in den schmalen Durchlass gehängt waren, dass sie sich zwischen uns und die Öffnung geschoben hatten, leuchteten sie im Gegenlicht bunt auf: grün und braun, rauchblau und beige, mattrot und gelb. Unter einigen von ihnen glänzte der Bretterboden nass – oder war noch stumpfer als anderswo. Wir waren in Weigels Trockenspeicher, und wie es aussah, trocknete er dort eine Ladung Stoffe, die auf dem Weg von ihrem Ausgangsort nach hier nass geworden waren – und die Flecken auf dem Boden wiesen darauf hin, dass die eine oder andere Bahn auch verschossen war und Weigel diesem Problem mit einer erneuten Färbung beizukommen suchte. Wenn er grünen Stoff angekündigt hatte, dann würde er auch grünen Stoff liefern, und nicht schulterzuckend irgendetwas lindfarben Verwaschenes anbringen und auf der Bezahlung der Lieferung bestehen.
    Weigel trat an die Öffnung heran und spähte hinaus. Ich erkannte, dass es die Ladeöffnung für die Ware war; die Konstruktion darüber war der Ladegalgen, von dem das Tau schlaff herunterhing. Wir waren allein hier oben. Selbst die Gasse war menschenleer. Für einen irren Augenblick wirkte es, als habe Weigel selbst veranlasst, dass man ihn und sein Haus weiträumig mied; dann jedoch begann ein dünnes Hornsignal, das sich steigerte und an Dringlichkeit zunahm, bis es unvermittelt abbrach und durch das Losdröhnen der Kirchenglocken ersetzt wurde. Mittagsstunde; wer jetzt nicht in seinem Haus war, um zu speisen, suchte sich irgendwo einen Schattenplatz und schnarchte.Weigel wies über seine Schulter hinweg in Richtung des Doms, von wo das Signal hergekommen war.
    »Er hat vor der Gefahr gewarnt, bis ihm der Feind hat einen Pfeil in die Kehle geschossen. Seitdem blasen sie es ihm zu Ehren. Ich kenne es schon, als ich noch ein Kind gewesen bin.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Ich wünschte, dass ich auch gehabt hätte so ein Signal, das vor Gefahr warnt. Dann wäre es nicht passiert.«
    »Manchmal bekommt man Signale, kann sie aber nicht deuten.«
    »Hinterher«, erklärte er. »Hinterher kann man sie immer deuten.«
    Ich nickte. Weigel trat beiseite, und unwillkürlich stellte ich mich neben ihn und sah auch hinaus. Die Öffnung war mit einer Gaube in das steile Dach des Hauses gebaut und sah zum Florianstor hinaus. Die Stadtmauer erhob sich aus dieser Position beinahe zum Greifen nah links und rechts des Torturms; dahinter lag eine freie Fläche, auf der

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