Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Jana, der Herrin des Hauses.«
    »Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er. Er machte den Mund einpaar Mal auf und zu. »Aber ich weiß nicht, wie Sie …« Er war ein mittelgroßer, dicker Mann, dessen Körper aus Wülsten zusammengesetzt schien; angefangen von seinem scharlachfarbenen Hut, dessen Krempe ein mit Goldfäden umwickelter Wulst war, bis zu seinem weichen Bauch, in dem sein Gürtel wie ein in Jahrhunderten ausgetretener Hohlweg verlief und der sich nördlich und südlich des Gürtels in weiteren Wülsten hervorwölbte. Seine Arme waren links und rechts in seinen Leib hineingesteckt wie seine Hände in die Ärmel; in den Fingern setzte sich das Wulst-Prinzip fort, und seine Fingernägel – kurz und abgeknabbert – lagen im Fleisch seiner Fingerspitzen nicht viel anders versenkt als der Gürtel in seinem Bauchfett. Von den Beinen konnte ich hinter der gewaltigen Truhe, hinter der er stand, nicht viel sehen, aber ich nahm an, dass sie nach dem Vorbild seiner Arme geformt waren. »Ich weiß nicht, wie Sie …«
    Wahrscheinlich war es das Beste, mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich schob die Vision von Fryderyk Miechowita und seinem Wiedergutmachungsgeldsäckchen beiseite … er ließ sich nicht ganz beiseite schieben und lungerte quasi am Rand meiner Wahrnehmung herum … und sagte: »Ich kenne den Grund Ihres Kummers.«
    Weigel bewies, dass unter den Speckrollen ein harter Kern saß. Er hörte auf herumzublubbern. »Dann muss ich annehmen, dass es sich hat herumgesprochen.«
    »Hat es nicht«, erklärte ich. »Sie können beruhigt sein.«
    Er musterte mich langsam von oben bis unten. Bislang hatte er mir keinen Sitzplatz angeboten, aber es hätte in diesem Zimmer auch nichts gegeben außer der Truhe, worauf man sich hätte setzen können, und die Truhe war zu hoch. Janas kleines Zimmer war gemütlicher … und man konnte von ihm aus bequem ins Schlafzimmer gelangen. Ich begann zu ahnen, dass jeder andere Tag für meine Mission besser gewesen wäre. Im Grunde hatte Weigels Geschrei nur meine eigene Wut, die sich seit gestern wie unter einer dicken Lage Werg geduckt hatte, aufgeweckt;vielleicht, weil mein Zorn so hilflos war wie seiner. Ich hasste Fryderyk Miechowita und wusste, dass meine Wut eigentlich Jana galt, aber mir einzugestehen, dass sie das Ziel meines Zorn war, wäre zugleich das Eingeständnis gewesen, dass etwas Unwiderrufliches geschehen war … sowohl in Wirklichkeit als auch in meinem Herzen. Weigel mochte irgendwo in einem Winkel seiner Seele hoffen, dass seine Tochter ihm etwas gebeichtet hatte, was in Wahrheit gar nicht geschehen war. Ich hoffte, dass ich etwas gesehen hatte, was ich in Wahrheit falsch interpretiert hatte. Weigels Hoffnung war allem Dafürhalten nach eitel. Was war meine?
    »Und wird es sich herumsprechen?« Er sah mich von unten herauf an.
    Ich zuckte mit den Schultern, von der Frage überrascht. »Ich sehe keinen Grund dazu.«
    »Aber Sie wissen es, oder?«
    Seine dicken runden Finger hatten sich auf dem Deckel der Truhe zu Fäusten geballt, dass unter alldem Fett seine Knöchel hervortraten.
    »Eigentlich weiß ich so gut wie gar nichts.«
    Weigel atmete langsam aus. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Sein Gesicht war noch roter als bei meinem Eintreten. Schlagartig wurde mir klar, dass ich Zeuge eines mühsam unterdrückten Wutanfalls war. Wenn er allein gewesen wäre, wäre er wahrscheinlich schreiend im Raum herumgetobt. Ein paar Augenblicke später kam mir der Gedanke, dass er vielleicht lieber herumgetobt hätte, während ich noch im Zimmer war – gefesselt und am Boden liegend und als Ziel seiner Tritte und Schläge. Wie war das mit dem Boten gewesen? Dass ich nach so kurzer Zeit schon der Gegenstand seines Hasses geworden sein sollte, wollte mir dennoch nicht in den Kopf.
    Weigel schluckte mühsam hinunter, was von außen wie ein bitterer Batzen Schleim wirkte, der ihm im Hals saß. » Was wissen Sie?«
    »Ich weiß, dass Ihre Tochter an der ganzen Sache unschuldig ist. Und dass sie trotzdem erledigt ist, wenn es rauskommt.«
    Statt dass ihn diese Versicherung, dass ich mir seiner Lage bewusst war, beruhigt hätte, schien sie ihn noch mehr zu erregen. Er räusperte sich und schluckte noch einmal. Seine Augen tränten fast vor Wut. Plötzlich sah er sich um, als sei er nicht sicher, ob es in seinem kleinen Reich heimliche Lauscher gab. »Schön«, sagte er, »nun wissen wir beide, dass wir es wissen. Und das Wichtigste an der ganzen Sache, das, was Sie noch

Weitere Kostenlose Bücher