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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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kein Hälmchen wuchs, und danach flimmerte das Konglomerat aus Handwerkerhäusern und schäbigen Bretterbuden, das Kleparz war, die Haltestation jedes Handelstrecks, während seine Führer mit dem Rat verhandelten, ob sie die Stadt betreten durften, oder (wenn sie Krakauer Heimkehrer waren) mit ihm herumstritten, wie hoch die Steuer war, die man auf ihre Waren aufschlagen würde. Einige besonders wuchtige Bauten waren Herbergen mit Stallungen; einige besonders windschiefe billige Bordelle. Sie standen einträchtig beieinander und eine gewaltige Staubwolke hoch über ihnen. Offenbar war vor kurzem ein neuer Treck angekommen. Die Felder und Auen jenseits Kleparz wurden von der Staubwolke verschluckt. Aus keinem anderen Grund heraus als der Tatsache, dass das Tau des Ladebaums vor meinem Gesichtsfeld herunterbaumelte wie der Strick an einem Galgen, fiel mir der Bettler ein, der einer Verkettung unglücklicher Umstände in Kleparz seine Hinrichtung zu verdanken hatte.Seinen Körper hatte man schon vor Wochen abgenommen, als sein Geruch begann, die Geschäfte auf dem Tuchmarkt zu beeinträchtigen. Ich fragte mich, ob er genau den entgegengesetzten Anblick gehabt hatte, als er in Panik aus der Ladeluke des Kürschnerhauses gesprungen war: die Mauer, den Torturm, die Umrisse der Stadt verschleiert hinter der Staubwolke, die ständig über ihren Gassen hing. Meine Gedanken mussten sich Weigel mitgeteilt haben.
    »Kennen Sie die Geschichte von der Kürschnermeisterstochter und dem Dieb?«
    »Es war ein Bettler«, sagte ich.
    »Der Kürschnermeister soll haben angefleht den Rat, den Kerl ihm und seinen Knechten zu überlassen. Der Rat aber hat abgelehnt und den Verbrecher nur aufgeknüpft.«
    Ich erwiderte nichts. Ich konnte mir denken, worauf er mit seiner Einleitung abzielte.
    » Nur aufgeknüpft«, sagte Weigel. Er sah mich von der Seite her an.
    »Wie geht es Ihrer Tochter?«
    »Der Tag des Herrn«, sagte Weigel und schien auf einmal den Tränen nahe zu sein. »Vorgestern. Der Tag des Herrn.«
    »Ja.«
    »Und nichts hat sie mir gesagt. Der schlimmste Albtraum für einen Vater tut das sein, und nichts hat sie mir gesagt.«
    »Sie meinen, Ihre Tochter hat Ihnen nicht erzählt, was man Ihr angetan hat?«
    »Die ganze Wahrheit wollen Sie wissen? Ich werd Ihnen sagen die ganze Wahrheit. Der König und seine Ratgeber salbadern den lieben langen Tag, wie sehr man doch soll einig leben und respektieren die Dreifaltigkeit von Polen und wie man soll stolz sein auf Krakau und wie alle hier miteinander leben tun … und ich sage Ihnen: Scheiße, mein Herr … jawohl, Scheiße … Drei faltigkeit … die Juden, die Krakauer und euresgleichen … wir Krakauer können gut verzichten auf die anderen zwei.«
    »Wo stehen die Polen in dieser Ordnung?«, fragte ich, aber er hörte mir nicht zu.
    »Und der König und seine Ratgeber: O wie dankbar sind wir, dass die Juden da sind mit ihren Verbindungen in alle Städte auf der Welt … o wie dankbar sind wir, dass die Fremden da sind mit ihren Neuerungen und Ideen und ihren Künsten … verklebt haben sie schon zu viele Hirne mit ihren Predigten, jeden Auswurf tun die Idioten auflecken, wenn er sich nur mit der Krakauer Scheißdreifaltigkeit befasst. Die größten Idioten hat man im eigenen Hause sitzen. Kommt da ein Bote an mit einer Einladung zu einem Fest, wie man sie zurzeit feiern tut, wenn man glaubt, dass man noch nicht weit genug gekommen ist in Gottes Ordnung und alle beeindrucken will – und rennen tut jeder zu so einem Fest, wenn er eingeladen ist, und noch schneller, wenn er nicht eingeladen ist und versucht, es zu werden. Ich hätte ihn aus dem Haus geworfen samt seinem Pergament und seinem Lautespieler, aber ich war im Rat und wusste nicht, was passierte. Zwei gottesfürchtige Menschen – mein Weib und meine Tochter –, zwei Menschen, denen ich hab weiß Gott immer gepredigt, was man zu halten hat von der Krakauer Dreifaltigkeit! Und sie hören, dass dieser … Scheißkerl … dieser Bildschnitzer … dass Wit Stwosz und seine verdammten Tagediebe eingeladen sind, und Wit Stwosz wird mehr angebetet als die Jungfrau Maria und mehr verehrt als der Heilige Vater in Rom, und wo die sind, da müssen sein auch all die anderen, und o göttliche Gnade: Wit Stwosz hat mich angelächelt!, und o glückliches Geschick: Sein Judenbengel hat sich herabgelassen, mich anzusehen! In den alten Zeiten, bevor der König und seine Ratgeber sich wandten zum Reich und seiner verdorbenen Moral, hätte

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