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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Geschichte den Gesprächsfaden zwischen meiner Tochter und mir vorerst endgültig gekappt. Janas Wechsel hatte der Wirt im Übrigen angenommen, ohne einen Rabatt anzubieten.
    Der Knecht zügelte das Maultier und sah mich fragend an. Ich nickte. »Mach einen Umweg«, sagte ich. »Versuch’s beim Schustertor.«
    Er lenkte den Wagen auf die Piste, die nach Westen von der Straße in Richtung Garbary abbog. Daniel und Sabina sahen ihm hinterher.
    »Da geht er hin und verkauft unsere Sachen an den Nächstbesten«, scherzte Daniel. »Vielleicht hätte ich meine alten Bruchen vorher noch waschen sollen.« Sabina verdrehte die Augen und warf mir einen Seitenblick zu.
    »Glauben Sie, dass irgendetwas nicht stimmt?«, fragte sie schließlich.
    »Keine Ahnung. Aber selbst wenn das Schustertor auch geschlossen sein sollte, sind die Wachen dort doch weniger scharf als hier. Das Schustertor geht zur Gerbervorstadt hinaus; aufdieser Strecke kommen kaum jemals Dinge in die Stadt herein, auf die man Zoll erheben könnte oder die es sich zu beschlagnahmen lohnt.«
    »Und warum ist das …«
    »… Florianstor«, sagte ich.
    »… warum ist es geschlossen?«
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Das wird sich gleich klären.«
    »Wenn ich leicht zur Sorge neigen würde«, sagte Sabina und wandte sich ab, »hätte ich heute Morgen mehr Anlass dazu gehabt als jetzt.«
    Die Wachen, die uns gemustert hatten, seit wir an der Abzweigung nach Garbary stehen geblieben waren, änderten ihre Postur keinen Zoll, als wir bei ihnen ankamen. Sie waren zu zweit, sie lehnten sich lässig auf ihre kurzen Spieße, und aus der Nähe besehen unterschied sie nur die einheitliche Kleidung von zwei beliebigen Landsknechten. Ich sah in ihre unrasierten Gesichter: zwei beliebige Landsknechte, die auf Streit aus waren. Außer uns und den Wachen befand sich keine Menschenseele vor dem geschlossenen Tor, und was immer an geschäftigem Lärm hinter den Mauern hörbar sein mochte, wurde hier draußen von den dicken Mauern abgehalten. Ich hörte das Geräusch, das Daniel machte, als er gelangweilt die Lippen aufblies. Wir hätten vor einer Stadt stehen können, in der die Pest herrschte; oder eher, wir hätten die Pestboten sein können, vor denen die Stadt die Tore verrammelte.
    »Was wollt ihr?«, fragte einer der Wächter auf polnisch.
    »Wir fragen um Erlaubnis nach, die Stadt zu betreten, bitte«, erwiderte ich in dem formellen Polnisch, das Jana mir mühevoll beigebracht hatte.
    Der Wächter musterte zuerst mich, dann meine Kinder. Er schob sich den Helm aus dem Gesicht und tat so, als müsste er nachdenken. Er machte eine finstere Miene. Dass er polnisch gesprochen hatte, war ungewöhnlich. Der Rat achtete sonst darauf, dass jeder Ankömmling erfuhr, wer in der Stadt das Sagen hatte:Ich hatte die Wachen bisher nie anders als deutsch sprechen hören, selbst wenn sie dazu radebrechen mussten.
    »Das Tor ist geschlossen«, informierte der Wächter schließlich.
    »Wir sind Krakauer.«
    »Tatsächlich? Ich hab die beiden da noch nie gesehen.«
    »Diese beiden sind meine Tochter und mein Sohn. Sie hatten eine lange Reise und ersuchen ebenfalls um Erlaubnis, die Stadt betreten zu dürfen.«
    »Eine Reise, eh? Dann sind sie ja wohl doch keine Krakauer?«
    »Ich bin Krakauer.«
    Er lächelte plötzlich über die ganze Breite seines Gebisses. Was sich noch an Zähnen in seinem Kiefer befand (wenig), war gelb und schartig; weiter hinten besaß er überhaupt keine Zähne mehr. Die Lücken machten sein Grinsen nicht lächerlich. Ich spürte, wie sich in meinem Bauch ein Kribbeln auszubreiten begann.
    »Ein freundliches Lächeln bringt Sonne in den Tag«, bemerkte Daniel, und die Blicke des Postens schossen kurz in seine Richtung. Er sprach Polnisch, aber er wäre kein Torwächter gewesen, wenn er nicht des Deutschen mächtig gewesen wäre; und die Verbindung nach Landshut, so umstritten sie da und dort war, hatte auch zu einem gewissen Wortschatz in Bayrisch geführt.
    »Dich kenne ich«, sagte der Posten zu mir. »Dich hab ich schon öfter mal gesehen.«
    »Das ist richtig. Dürfen wir hinein? Was ist eigentlich …?«
    »Du bist kein Krakauer«, sagte der Posten.
    In der Stille, die danach eintrat, hörte ich das Gezirpe der Lerchen hoch über den Feldern in unserem Rücken, Hundebellen, das Geklimper ausgehöhlter Hölzer, die um Ziegenhälse hingen, und den langsamen Schritt eines einsamen Reiters irgendwo hinter uns. Ich wechselte einen Blick mit dem zweiten Posten, der

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