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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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uns reglos betrachtete, und dann mit Daniel undSabina, denen klar geworden war, dass es sich hier nicht um die übliche Arroganz von Torwächtern handelte. Was mich noch mehr erschütterte als die Feindseligkeit des Wächters war die Unbekümmertheit, mit der er ihr freien Raum ließ. Weshalb hatten sie die Tore versperrt?
    »Versucht ihr etwas ein- oder auszusperren?«, fragte ich und deutete auf die verrammelten Torflügel. Er blinzelte, für einen Augenblick aus dem Konzept gebracht.
    »Was geht’s dich an?«, sagte er dann. »Du kommst nicht rein.« Er richtete sich plötzlich auf und nahm den Spieß quer vor den Leib. Sein Kamerad tat es ihm gleich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Daniel an meine Seite trat und Sabina sich hinter ihn stellte. Die beiden Wachen registrierten die Bewegung. Ich hätte mir gewünscht, meine Kinder hätten sich still verhalten. Die Lerchen zirpten immer noch hoch oben, die Sonne brannte auf meine Kappe. »Und jetzt haut ab, alle drei.« Er pfiff durch die Zähne. Ein behelmter Kopf neigte sich über den Zinnenkranz direkt über dem Tor; ich konnte erkennen, dass der Mann seinen Bogen in der Hand hielt. »Sonst regnet’s hier gleich Holz und Eisen.«
    Ich beugte mich nach vorn, bis ich mein Gesicht fast an seines herangebracht hatte. Ich konnte seinen Atem riechen. Er wich nicht zurück, aber seine Augen flackerten plötzlich. Sein Kamerad schob sich einen Schritt näher.
    »Du kleine Kröte«, sagte ich so leise, dass nur er es hören konnte. »Du kannst dich hier aufblähen, solange du willst – ich komme doch in die Stadt hinein. Und dann werde ich mit der Geschichte, wie du mich und meine Familie hier heraußen behandelst, meinen Freund Laurenz Weigel beim Abendmahl erheitern; und glaub mir, danach werden von uns dreien nur er und ich noch über diese Sache lachen können.«
    Wir maßen uns mit den Blicken. Ich bemerkte, dass er den Griff an seinem Spieß wechselte. Er schielte fast vor Wut, aber er schwieg.
    »Mach die Mannpforte auf«, sagte ich. »Ich frage dich nicht nochmal.«
    Er schüttelte den Kopf. Ich zwang ein Lächeln auf mein Gesicht und hoffte, dass es aussah wie das Lächeln, das ich einmal auf den Lippen eines Henkers gesehen hatte, den der Delinquent plötzlich wild zu beschimpfen begonnen hatte, während er auf den Block niedergezwungen worden war. Der Wachposten kniff die Lippen zusammen; auf einmal drehte er sich brüsk um und stakste zum Tor hinüber. Ich richtete mich auf und setzte das Gesicht eines Mannes auf, der erstaunt ist, wie schwer die leichten Dinge manchmal fallen.
    »Was haben Sie dem denn ins Ohr geflüstert, Vater?«, murmelte Daniel.
    Der Posten kam bei der geschlossenen Mannpforte an, drehte sich um und sah mir ins Gesicht. Ich machte eine aufmunternde Geste. Der Posten legte den Kopf schräg, wandte sich leicht zur Seite und brüllte aus Leibeskräften: »Scharführer!!«
    Dann kehrte er mit dem gleichen steifbeinigen Schritt wieder zu dem Platz zurück, den er zuvor innegehabt hatte – einen Arm weit vor meiner Nasenspitze. Er bleckte, was er an Zähnen noch blecken konnte. Die Mannpforte war immer noch zu. Der zweite Wachposten beugte sich nach vorn und spuckte mit unbewegtem Gesicht auf den Boden.
    »Was es auch war, es hat jedenfalls nicht gereicht«, sagte Daniel.
    Der Scharführer kam mit ungewöhnlicher Schnelligkeit aus dem Gewölbe in einem der Flankentürme, in denen sich die Wachmannschaft aufhielt. Es wirkte, als habe er nur auf Schwierigkeiten gewartet – freudig. Er sah nicht viel vertrauenerweckender aus als seine Untergebenen. Leute seines Schlages bewachten normalerweise nicht das Florianstor; es war nicht nur der Umstand, dass sie polnisch sprachen, ungewöhnlich. Er wischte sich mit dem Ärmel unter der Nase hindurch, warf einen prüfenden Blick in den Himmel, als ob es für seine Zweckevon Belang sei, wie sich das Wetter entwickelte, ruckte an dem Gürtel um seine Leibesmitte und stapfte dann mit den Füßen auf – Gürtel und Stiefel saßen zur Zufriedenheit. Ein Griff in den Schritt – auch dort saß alles, wo es hingehörte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit mit provozierender Langsamkeit uns zu, und gerade als ich mich fragte, ob ich meine Rolle weiterspielen und mir einen Wutausbruch leisten sollte, hörte ich eine Stimme hinter mir, die fast akzentfrei sagte: »Was sind denn das hier für Possen? Tor auf, aber plötzlich!«
    Ich drehte mich überrascht um. In den letzten Minuten hatte ich nicht mehr auf das

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