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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Lippen etwas zu sagen, aber sie schnitt mir das Wort ab. Ich verstand kaum, was sie sagte; in meinen Ohren hallte mein Herzschlag, plötzlich schmerzhaft und schnell.
    »Es tut mir Leid«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich.
    »Wir hätten viel eher darüber sprechen sollen. Jetzt ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt.«
    »Wir haben ja Muße, bis dein Schreiber kommt«, sagte ich und hoffte, dass sie nicht merkte, welche Mühe es mir bereitete,ruhig zu sprechen. Meine Kehle war so eng, dass sie sich bei jedem Wort zu verschließen drohte.
    Sie hob den Blick und musterte mich. »Na gut«, seufzte sie nach einer Pause. »Als du mich damals kurz vor Krakau eingeholt hast – nach dem Fehlschlag mit deiner Tochter Maria – hätte ich dich eigentlich zurückschicken sollen.«
    Sie redete mit einer für sie geradezu unüblichen ruhigen Nachdenklichkeit. Ich hatte das Gefühl, jemand schnitt mit einem stumpfen Messer langsam den Faden ab, an dem mein Leben hing, und zerfaserte ihn, bis nur noch ein Strängchen mich aufrecht hielt, das jeden Moment reißen konnte. »Jana, wie haben wir es nur zugelassen, dass das passieren konnte?«
    Sie ging nicht auf mich ein. »Ich hätte erkennen sollen, dass du es nicht konntest, daher hätte ich die Entscheidung für dich treffen sollen.«
    »Das muss doch nicht das Ende sein. Wir können doch noch …«
    »Das Ende? Es könnte schon lange alles zu Ende sein, wenn ich damals stärker gewesen wäre.« Jana machte eine Handbewegung, die das Haus in unserem Rücken umfasste. »Stattdessen schlagen wir uns jetzt damit herum, und mit jedem Jahr, das seither vergangen ist, wird die Lösung schwieriger. Nein, Peter, ich hätte dich sofort zurückschicken sollen, ganz gleich, ob es mir damals das Herz herausgerissen hätte. Ich hätte sagen sollen: Geh und komm nicht eher wieder zurück, als bis du deine Fehler an deiner alten Familie bereinigt hast – und dann erst lass uns mit unserer neuen Familie anfangen. Sonst holt uns dieses Versäumnis dann ein, wenn wir uns am wenigsten damit auseinander setzen können.«
    Ich starrte sie durch einen Schleier vor meinen Augen an. »Wie bitte?«, hörte ich mich sagen.
    »Das muss dir doch auch klar sein! Du unternimmst einen Versuch, dich mit Maria zu versöhnen, ohne dass etwas Konkretes dabei herausgekommen wäre; du bürdest die Gefühle,die dir dieser Fehlschlag bereitet hat, deiner anderen Tochter auf, und dann verschwindest du – für deine Familie zumindest – acht Jahre lang in Krakau in der Versenkung, ohne dass einer von ihnen etwas anderes von dir bekommen hätte als Briefe. Hast du jemals nachgeprüft, ob es stimmt, dass das Haus Hoechstetter Maria ein neues Obdach gegeben und sie wieder Lebensmut gefasst hat? Ob Sabina mit dem Leben an der Seite eines Mannes, der zehn Monate im Jahr auf Reisen ist, wirklich zufrieden ist? Ob Daniel tatsächlich nur an seinen Kirchenbau denkt oder ob es jemanden gibt, dem er sein Herz geschenkt hat – ohne dass deine Spione in Landshut es mitbekommen hätten?« Sie wischte sich mit der Hand durch das Gesicht und zog die Nase auf.
    »Du hast es genauso gemacht wie nach dem Tod deiner Frau, nur aus dem genau entgegengesetzten Gefühl heraus. Und jetzt glaubst du, alle hier in Krakau vereinen zu können und dich mit ihnen auszusöhnen, und suchst dir auch noch einen Anlass dazu, nämlich den Beginn von Paolos Ausbildungszeit bei Mojzesz. Ich bin erstaunt, dass zumindest Sabina und Daniel zugesagt haben. Doch anstatt dich zu freuen, lässt du sie noch am Ankunftstag hier in diesem … Wanzenloch! … von Durchgangsstation schmoren und deine Tochter sogar den Schutz eines Freudenhauses genießen!«
    »Ich habe doch all die Tage vorher … du hast dich sogar schon darüber beschwert, dass ich …«
    »Dieser Fehler, der dir heute unterlaufen ist: Hältst du den wirklich für einen Zufall? Tief in deinem Herzen, so tief, dass du es selbst nicht weißt, hast du eine Heidenangst vor diesem Treffen gehabt, und deshalb ist es auch schief gegangen. Das wäre nicht passiert, wenn ich vor acht Jahren stärker gewesen wäre – und das ist es, was mir Leid tut!«
    Ich gaffte sie an. Ich hatte nicht die Hälfte von ihren Ausführungen verstanden. Alles, was ich verstanden hatte, war, dass das Gespräch eine ganz andere als die befürchtete Wendung genommenhatte. Ich wollte sie zugleich festhalten, sie durch die Luft schwenken und ihr still in die Augen sehen, und so tat ich gar nichts, außer mit hängenden Armen

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