Der Sohn des Tuchhändlers
der Würde, die ihm unzweifelhaft von Jana nahe gelegt worden war, und ging langsamer, dann wurde ihm klar, dass ich in Begleitung von zwei Menschen war, auf die er seit Tagen gespannt gewartet, die er jedoch noch nie gesehen hatte, und er wurde noch langsamer. Zuletzt blieb er stehen, erinnerte sich an irgendetwas, das er einmal bei Jana oder mir gesehen hatte, machte eine Verbeugung und sagte hastig: »Ich heiße die Herren in meinem Haus willkommen.«
Sabina starrte ihn an. Ich verdrehte die Augen und schüttelte amüsiert den Kopf. Paolo machte ein ängstliches Gesicht. Ich holte Atem, aber Daniel schnitt mir das Wort ab.
»Soso«, sagte er. Er trat einen Schritt vor, setzte sich auf den Boden, reckte das Kreuz durch und brummte: »Ich bin im Sitzen größer als du.«
Paolo betrachtete Daniel, der vor ihm saß, misstrauisch. »Nein«, sagte er dann.
»Komm her und beweise es, wenn du anderer Meinung bist!«
Paolo blieb stehen.
»Tja«, machte Daniel.
»Paolo«, sagte ich und versuchte, in der Hektik der letzten Stunden und in Daniels Vorstoß hinein das Gefühl für den Augenblick zu gewinnen, auf den ich mich die ganze Zeit über vorbereitet hatte, »ich möchte, dass du zwei Menschen kennen lernst, die ebenso wie du meine Kinder sind, auch wenn sie schon viel größer sind …«
» Viel größer«, erklärte Daniel. »Sogar im Sitzen.«
»Das stimmt nicht«, sagte Paolo und schien nicht zu wissen, ob er lachen oder sich ärgern sollte.
»Daniel, hör mit dem Unsinn auf«, schnappte Sabina.
»Aber wenn ich doch größer bin …«, sagte Daniel und drehte sich im Sitzen zu uns um.
Paolo stapfte plötzlich zu ihm hinüber, stellte sich mit dem Rücken an Daniels Rücken, atmete tief ein und rief: »Da, ich bin größer!«
Daniel machte ebenfalls einen geraden Rücken. Sein Hinterkopf ragte ein kleines Stück über Paolos Scheitel in die Höhe. Er nahm mit der Hand Maß, wandte sich um, ließ das Maß ein wenig sinken und legte es schließlich an Paolos Nasenspitze, der sich ebenfalls zu ihm umgedreht hatte. »Mhm«, machte Daniel und nickte. »Tatsächlich. Ich habe verloren. Ich reiche dir nur bis hier.«
Paolo machte ein triumphierendes Gesicht. Daniel rappelte sich vom Boden auf und grinste auf Paolo hinunter, der den Kopf in den Nacken gelegt und mit offenem Mund beobachtet hatte, wie der junge Mann vor ihm in die Höhe wuchs. Daniel legte ihm die flache Hand auf den Scheitel, nahm erneut Maß und legte die Handkante dann an seinen eigenen Hals. »So gehst du mir aber nur bis hier.« Es war so übertrieben, dass selbst Paolo lachte.
»Nein«, rief er und nahm selber Maß, landete immer noch viel zu hoch an Daniels Oberkörper, aber immerhin nur noch in der Höhe seines Brustbeins. Er musste sich strecken, um dorthin fassen zu können. »Bis hierher gehe ich.«
»He«, sagte Daniel, »so einen großen kleinen Bruder habe ich also.« Er zwinkerte auf den Kleinen hinab. »Ich bin Daniel, und ich baue eine Kirche.« Er verbeugte sich vor Paolo.
»Eine ganze Kirche?«, staunte Paolo.
»Mit Turm und allem.«
»Oooooh!«, machte Paolo, obwohl ich ihm hundertmal erzählt hatte, was Daniel in Landshut tat.
»Und die da«, sagte Daniel, fasste Paolo an den Schultern, hob ihn hoch und drehte ihn so herum, dass er zu Sabina und mir herüberschauen konnte, »ist meine Schwester. Weißt du, was das bedeutet?«
»Dass sie ebenfalls eine Kirche baut?«
»Nein, dass sie auch deine Schwester ist.«
»Ich weiß das schon«, erklärte Paolo.
»Lass dich nicht davon irritieren, dass sie schaut wie ein Sauertopf. Sie hat auch zwei, drei gute Tage im Jahr.«
»Daniel!«, rief Sabina empört.
»Sie sieht gar nicht aus wie ein Sauertopf«, sagte Paolo schüchtern.
Sabina trat einen Schritt nach vorn und stemmte die Hände in die Hüften. Ich sah auf und erkannte, dass Jana in den Raum getreten war und die Szene beobachtete. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie und wischte sich über die Augen. Es war diese Geste, die mich endlich hier im Saal ankommen ließ und mir bewusst machte, dass sich vor meinen Augen ein winziger Teil dessen vollzog, was ich die ganzen Jahre herbeigesehnt hatte: dass meine Familie wieder heil wurde. Ich war in der kleinen Komödie, die Daniel (ausgerechnet mein oberflächlicher, unernster, von nichts als vom Gedanken an seinen Kirchenbau beseelter Sohn Daniel!) begonnen und in der mitzuwirken Sabina ihren Groll überwunden hatte, überflüssig. Ich hörte, wie Sabina etwas
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