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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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verurteilen?«
    »Mein lieber Mann«, sagte ich, »ich ging ganz ohne Vorurteile in dieses Gespräch. Ihr Sohn hat sich alle Mühe gegeben, mich gegen ihn einzunehmen – und erzählen Sie mir bloß nicht, Sie wüssten nicht, von welchem Benehmen ich rede. Als Mojzesz Sie ins Bild setzte, was geschehen war, haben Sie sich Samuel bestimmt vorgeknöpft. Und – haben Sie dabei erfahren, was Sie wissen wollten, oder mussten Sie sich die Details aus den Erzählungen anderer zusammenreimen? Sind Sie zu Veit Stoß gegangen, um herauszufinden, wie es sich anhört, wenn Ihr Sohn vernünftig redet?«
    Ben Lemels Augen wurden schmal vor Wut. »Haben Sie auch mit dem Mädchen gesprochen?«
    Ich blinzelte. Er erkannte, dass er mich unvorbereitet erwischt hatte, und stieß sofort nach. »Sie haben ihn schon verurteilt. Weil er ein Jude ist? Weil er ein Mann ist und Zofia eine schwache Frau? Weil er stolz darauf ist, was er erreicht hat, und seinen Stolz auch zeigt? Oder ist es, weil Sie selbst Schwierigkeiten mit Ihren Kindern haben?« Er musterte mich. »Ist es das? Ist es das, Reb Bernward?«
    »Gehen Sie ins nächste Badehaus und fragen Sie die Mädchen dort, ob jemand Mitgefühl verdient, der eine Frau vergewaltigt«, sagte ich rau. »Und lassen Sie mich und meine Familie aus dem Spiel.«
    Er folgte mir bis auf die Gasse hinaus.
    »Sie versagen meinem Sohn die Gerechtigkeit«, rief er, »weil Sie selbst unfähig sind, in Ihrer Familie Gerechtigkeit zu üben. Habe ich nicht Recht? Habe ich nicht Recht, Reb Bernward? Ich habe mich umgehört, als Mojzesz mir sagte, er würde Sie zu Rate ziehen. Ich habe als Einziger im Kreis der seniores gegen Sie gestimmt. Sie sind es nicht wert, Ihr Wort gegen meinen Sohn zu erheben. Und ich pfeife auf all Ihre Ratschläge.«
    Mojzesz tauchte plötzlich hinter ihm auf. Er machte ein finsteres Gesicht.
    »Du schändest den Frieden in meinem Haus und meine Ehre, wenn du meine Freunde beschimpfst, Jossele.«
    Ben Lemel machte eine verzweifelte Handbewegung. »Deine Freunde?«, stieß er hervor. »Dieser shkutz ist nicht dein Freund. Wahre Freundschaft findest du nur in der Gemeinde, das weißt du genauso gut wie ich.«
    »Es tut mir Leid, senior ben Lemel«, sagte Mojzesz dumpf. »Mein Haus und meine Einstellung beleidigen dich. Vielleicht wäre es besser, wenn du beides demnächst meiden würdest.«
    »Schon gut«, hörte ich mich sagen. »Er hat mich nicht verletzt. Du brauchst dich nicht demonstrativ auf meine Seite zu stellen.«
    Mojzesz starrte mich über den Kopf Joseph ben Lemels an.Sein Mund arbeitete. Ich schloss die Augen und wandte mich ab; ich wollte nicht hören, wie tief ich ihn getroffen hatte. Ich sah, dass er ein eingewickeltes Paket in der Hand hielt, das wahrscheinlich für Paolo gewesen wäre. Nun … Paolo würde darauf verzichten müssen. Die Kinder von Peter Bernward lernten besser frühzeitig zu verzichten – vor allem auf einen vernünftigen Vater.

    Janas Haus lag von Mojzesz Fiszel aus näher als das Fryderyk Miechowitas; und ich sagte mir, dass ich bei Jana Wichtigeres zu erledigen hatte als bei Miechowita. Es war mir ernst gewesen mit meiner Weigerung, noch mehr für Mojzesz’ Leute zu tun, aber Miechowita war genau genommen weniger mit dem Problem der jüdischen Bevölkerung verbunden als mit meinen eigenen Problemen; und abgesehen davon befanden sich in Janas Haus mindestens zwei Menschen, auf deren Ankunft ich zwar sehnsüchtig gewartet hatte, denen zu begegnen mir im Augenblick jedoch vollkommen unmöglich erschien. Ich trat vor Janas Tor ein paar Augenblicke lang von einem Fuß auf den anderen und kam endlich zu dem Schluss, dass es nicht schaden konnte, mich bei Miechowita ganz unverbindlich ein wenig umzusehen. Es war noch immer so früh am Tag, dass die Schatten in den Gassen lang und blau waren und die Rauchfahnen über den Kaminen der Häuser das Einzige, was sich bewegte. Nur das Haus einmal in aller Ruhe in Augenschein nehmen und dann meine eigenen Aufgaben in meinem Heim lösen – quasi das Objekt meines Interesses (ersetze Interesse gegen: Abscheu) zu taxieren und mir meine eigenen Gedanken zu machen. Sicher, ich war an Miechowitas Haus schon oft vorbeigelaufen; aber da war es noch nicht Miechowitas Haus gewesen, und ich hatte von seiner Existenz nichts geahnt. Sollte sich dabei zufällig eine Erkenntnis ergeben, die den Juden helfen konnte, umso besser – ich würde nicht zwanghaft mit Informationen hinter dem Berg halten … warum auch? Mojzesz

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