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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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stutzte. »Na, um zu verhindern, dass er die Bürger aufhetzt, oder nicht?«
    »Ganz richtig. Wer kommt also als Täter in Frage?«
    Er musterte mich lange. Man konnte sehen, dass die Gedanken hinter seiner knotigen Stirn mit heraushängenden Zungen hintereinander herjagten. Dann wurden seine Augen größer. »Sie meinen … der Rat …?«, hauchte er.
    Ich seufzte. »Der Rat wollte Avellino gestern Abend aus dem Verkehr ziehen – ganz öffentlich und ohne krumme Touren. Gut, Avellino hat den Schutz von Kardinal Fryderyk Jagiello genossen, und der Kardinal ist zufällig der Bruder von König Kasimir; aber der Rat hat sich noch nie gescheut, sich gegen den König zu wenden, wenn er das Gefühl hatte, es müsse sein. Niemand im Rat hatte es nötig, Avellino zu ermorden. Und da der Rat aus den deutschen Kaufleuten besteht, hätte sich auch jeder gehütet, ihn zum Märtyrer eines beginnenden Aufstands gegen ihre Oberhoheit werden zu lassen.«
    »Dann bleibt doch aber nur … ein Jude!« Es brach aus ihm heraus. Die anderen seniores stöhnten.
    »Sie haben nicht zugehört, Rebbe. Für Sie und Ihre Leute gilt das Gleiche wie für den Rat. Und wenn ich zwischen beiden Lagern wählen müsste, um einen Täter zu bestimmen, würdeich keinesfalls auf die Juden tippen. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand aus Ihrem Volk auf diese Art versucht hätte, eine Bedrohung abzuwenden.«
    »Ja … aber …«
    Nun war die Reihe an mir, die Arme auszubreiten. »Nichts aber. Ich sage das alles nur, um Ihnen zu verdeutlichen, dass es beinahe aussichtslos ist, den Mörder zu finden. Avellino könnte ein Hurenbock gewesen sein, der gestern Abend an die falsche Adresse geraten ist … finden Sie da mal heraus, wer’s gewesen ist!«
    » Sie haben uns doch geraten, den Mörder zu fangen!«
    »Sie haben wieder nicht zugehört. Ich habe gesagt, es geht darum, die Suche nach ihm zu eröffnen. Damit habe ich gemeint: Gehen Sie an die Öffentlichkeit! Bieten Sie dem Rat Ihre Mithilfe an! Sprechen Sie Kardinal Jagiello Ihr Mitgefühl aus und spenden Sie Geld für ein Begräbnis! Stiften Sie ein paar Messen und verkünden Sie, Veit Stoß mit einer Figurengruppe für den Dom beauftragen zu wollen, sobald er mit dem Altar fertig ist! Nutzen Sie Ihre Beziehungen zum Königshaus und überreden Sie den König, dass er die Sache zu seiner eigenen macht! Beweisen Sie aller Welt, dass Sie an Avellinos Tod so dermaßen unschuldig und gleichzeitig darüber empört sind, dass sie vergessen, wie er über Ihre Gemeinde hergezogen ist und tatkräftig an der Aufklärung des Falls mithelfen wollen.«
    Sie sahen sich gegenseitig und dann mich an. Wenn ich gesagt hätte: Springt alle miteinander aus dem Fenster, um die Sachlage zu bereinigen, hätte es sie weniger schockiert.
    »Das entspricht nicht dem Wort der Lehrer«, sagte ben Jordan zuletzt stockend. »Es ist gegen die takkanah . Die Kinder Israels greifen nicht in die Welt der Gojim ein, schon gar nicht mit Taktik und Falschheit.«
    »Sie haben mich gefragt, und ich habe Ihnen meine Ansicht dargelegt. Das ist alles, was ich für Sie tun kann.« Ich drehte mich zu Mojzesz um. »Ich möchte gehen, Mojzesz.«
    »Danke für alles«, sagte der Bankier. Er schob mich hinaus und flüsterte mir ins Ohr. »Es ist mehr, als ich gehofft hatte. Sie sind nicht undankbar – sie finden es nur schwer, sich aktiv gegen die Bedrohung zu stellen. Das ist keiner von uns gewöhnt. Warte bitte – ich werde schauen, ob Rebecca etwas für Paolo hat.«
    Ich stieß die Luft aus und sagte nichts. Mojzesz stieg vor mir die Treppe hinunter. Ich folgte ihm langsam nach. Aus dem Raum, in dem die seniores waren, hörte ich keinen Ton. Sie waren entweder noch vollkommen sprachlos, oder sie warteten, bis ich draußen war, bevor sie begannen, sich über mich aufzuregen. Ich war schon am Fuß der Treppe, als ich Schritte herunterpoltern hörte. Joseph ben Lemel kam mir hinterher. Er blieb auf der letzten Treppenstufe stehen und suchte nach Worten.
    »Würden Sie wenigstens noch eines tun?«, fragte er dann. Ich konnte an seiner verbissenen Miene ablesen, wie sehr er versuchte, seine instinktive Abneigung gegen mich zu unterdrücken. »Sie sind auch Vater, wie ich höre. Würden Sie mit meinem Sohn reden? Ich schwöre Ihnen, er ist unschuldig.«
    »Ich habe bereits mit ihm geredet«, sagte ich. »Ich habe schon Gespräche mit Steinen geführt, die gewinnbringender waren.«
    »Wie sollte Samuel eine Chance haben, wenn Sie ihn schon von vornherein

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