Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Fiszel war mein Freund.
    Ich bog um die Ecke und lief förmlich in Fryderyk Miechowita hinein. Er stand in der Gasse, offenbar direkt vor seiner Tür, und musterte die Gebäudefassade langsam von oben bis unten. Ein Dienstbote stand neben ihm und hielt eine Fackel in der Hand, mit der er vage in Richtung der Hausmauer leuchtete, ohne dass es nötig gewesen wäre (und ohne dass Miechowita, wäre es dunkel gewesen, viel gesehen hätte). Der Dienstbote betrachtete die Hausmauer mit nicht weniger Aufmerksamkeit als sein Herr. Ich wollte mich hinter die Gassenecke zurückziehen, doch da sah Miechowita auf, starrte mich über die paar Dutzend Schritte Entfernung hinweg unter seinem Pfauenfederhut an – und winkte mir dann zu. Ich biss mir auf die Zunge und winkte zurück.
    Miechowita machte eine einladende Geste in seine Richtung. Ich verfluchte mich und setzte mich in Bewegung. Er gab seinem nutzlosen Fackelträger einen Wink, sich ins Haus zurückzuziehen. Als ich näher kam, fielen mir die kleinen Häuflein Putz- und Mörtelbrocken auf, zwischen denen Miechowita stand, und ich folgte einer Ahnung und machte eine weite Kurve zur anderen Gassenseite hinüber, um einen besseren Überblick über die Wand von Miechowitas Haus zu erhalten.
    Jemand hatte sich daran ausgetobt … und da die anderen Häuser ringsherum nicht in der gleichen Weise verschönert worden waren, lag der Schluss nahe, dass es sich um eine gezielte Aktion gegen den polnischen Kaufmann handelte. Was schließlich die Art der Zerstörung betraf, konnte kein Zweifel bestehen, dass es nicht nur um eine geschäftliche Auseinandersetzung gegangen war.
    Ein Teil davon sah aus wie die Vorzeichnung eines Freskos. Statt ein großes Tuch zu spannen und dann Kohlestaub durch die vorgestanzten Löcher zu pusten, die den Umriss einer Figur ergaben, hatte der Künstler jedoch den Pinsel und den Freihandstil vorgezogen – und statt der Kohle eine dunkelbraunschmierige Farbe verwendet, die ich für Tierblut hielt. Es wareine Figurengruppe. Eine davon war so dargestellt, dass sie auf dem Boden lag. Der Malstil verzichtete auf eine perspektivische Darstellung, aber die Absicht wurde auch so deutlich. Die liegende Figur hatte langes Haar, und da sie nackt war, konnte man deutlich erkennen, dass sie eine Frau sein sollte. Sie lag da wie der Gekreuzigte, aber die Beine waren geöffnet, und zwischen ihnen befand sich die zweite Figur. Sie trug einen spitzen Hut, wie ihn diejenigen unter der jüdischen Bevölkerung trugen, die sich tatsächlich der Kleiderordnung unterwarfen. Da, wo die Attribute seiner Männlichkeit zu erwarten gewesen wären, befand sich ein Davidsstern, und es war unschwer zu erkennen, was er damit tat. Was der Künstler weiter mit seinem Werk angestellt hatte, ließ es so unheimlich aussehen, dass mir ein Schauer den Rücken hinunterlief.
    »Gott zum Gruß«, sagte Fryderyk Miechowita und zwang mich erneut dazu, ihm die Hand zu schütteln. Seine Miene war verkniffen.
    Ich deutete auf die Schmiererei an seinem Haus. »Gestern Abend?«
    »Ich war natürlich auf dem Marktplatz, wie viele andere. Als ich zurückkehrte, war es noch nicht da.«
    »Scheinbar hat das Beispiel von Veit Stoß, bis spät in die Nacht hinein zu arbeiten, Schule gemacht.«
    Miechowita musterte mich und grinste dann schief. »Wenn das das Ergebnis plötzlich erwachten Fleißes ist, wünscht man sich die alte Faulheit zurück, meinen Sie nicht?«
    Die dritte Figur stand über der Vergewaltigungsszene und hatte die Arme ausgebreitet wie ein Schutzheiliger. Es war klar zu erkennen, dass sie dem, was dort vorging, den Segen gab. Ihre Kleidung war übertrieben gezeichnet: ein riesiger Hut mit überquellendem Schmuck, eine an den Schultern mächtig ausgestopfte Schaube mit Hängeärmeln, die muskulösen Beine eines Froschs unter engen Beinlingen und riesige Stiefel mit Stulpen und Sporen, mit deren Rädern man einen Karren hätte fortbewegenkönnen. Auch diese Figur sah trotz der groben Hastigkeit, mit der sie geschaffen worden war, unheimlich aus. Ich sah Miechowita von der Seite her an. Er war meinen Blicken gefolgt und betrachtete die Schmiererei mit zusammengekniffenen Augen. Sein Gesicht war dunkel vor Wut.
    »Fryderyk Miechowita, der Schutzpatron der Schänder«, knurrte er.
    »Zumindest diese Symbolik ist offensichtlich«, erwiderte ich und dachte: Wenn ich dieses Bild angefertigt hätte, sähe man dich jetzt als Patron der Ehebrecher.
    Ich bemühte mich, Schadenfreude für die

Weitere Kostenlose Bücher