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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Verunglimpfung zu finden, die Miechowita erlitten hatte, doch ich wusste nur zu gut, dass dies das sprichwörtliche Zeichen an der Wand war, und seine Ausführung ließ keinerlei Zweifel daran, dass es eine ernst gemeinte Drohung darstellte.
    »Was ist daran nicht offensichtlich?«, fragte Miechowita.
    Ich betrachtete die Mörtelbröckchen auf dem Boden und dann die Löcher in der Wand. »Ihr Bewunderer hat zuerst mit dem Pinsel gearbeitet und dann mit dem Meißel«, sagte ich. »Er hat das Gesicht der Frau auf dem Boden zerhackt und ihr ein Loch in den Leib gehämmert – genau dort, wo bei einer Hinrichtung der Pfahl hineingetrieben würde.« Ich konnte mir nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Zum Beispiel bei Ehebruch.«
    Er reagierte nicht darauf. Seine Blicke hingen an der Figur, die ihn darstellte.
    »Ebenfalls das Gesicht zerhackt«, sagte ich. »Und das Gemächt.«
    »Und was verstehen Sie daran nicht?« Seine Stimme war rau.
    »Wenn das Zofia Weigel sein soll und dies hier Sie, dann ist die dritte Figur, die mit dem Judenhut und dem Davidsstern, Samuel ben Lemel.«
    Er starrte mich ein paar Herzschläge lang an. »Wie kommen Sie denn darauf ?«
    »Ich habe heute Morgen schon vor den seniores der Judengemeinde gesprochen«, sagte ich. Ich machte eine weite Handbewegung. »Im Gegensatz zu den meisten hier in der Stadt, die gestern mit fiebrigen Augen der Predigt von Julius Avellino gelauscht haben, weiß ich nicht nur, was vorgefallen ist, sondern auch wo .«
    »Wer weiß sonst noch darüber Bescheid?«
    »Wenn Sie meinen: Weiß meine Gefährtin Bescheid?, dann lautet die Antwort: Nein.«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es ihr gegenüber nicht erwähnten«, sagte er mit einer solchen Offenheit, dass ich mich zurückhalten musste, ihn nicht zu erdrosseln.
    »Das Wissen bleibt unter denen, die es bisher wussten – und ihm «, sagte ich garstig und wies auf die Schmiererei.
    »Hm«, machte er und versuchte in meinem Gesicht zu lesen.
    »Ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen«, sagte ich, »dass die einzige Gestalt, die nicht verstümmelt ist, die von Samuel ist?«
    Miechowita riss die Augen auf und betrachtete das obszöne Gemälde von neuem. »Tatsächlich«, sagte er dann leise.
    »Was bedeutet das?«
    »Woher soll ich das wissen? Sie sind doch offenbar von uns beiden der Schlauere. Sagen Sie es mir. Vielleicht war der Künstler ja ein Jude?«
    »Vielleicht will es jemand so aussehen lassen, als sei es ein Jude gewesen?«
    »Nach allem, was Avellino gestern von sich gegeben hat, sind die Juden fast schon aus der Schusslinie seiner Hetzreden geraten.«
    »Es kann sie ja jemand wieder hineinzubringen versuchen.«
    Miechowita schürzte nachdenklich die Lippen.
    »Jedenfalls hat er Sie mit hineingebracht«, sagte ich.
    »Halten Sie mich für so dumm, diese Schweinerei hier stehen zu lassen?«
    »Auch wenn Sie das abgewaschen kriegen, bevor es allzu vieleLeute sehen – es gibt mindestens einen weiteren Wissensträger außer denen, die in den Vorfall verwickelt sind: nämlich den, der das hier verbrochen hat. Und wie Sie ihn zum Schweigen bringen wollen, ist mir schleierhaft.«
    »Hm«, machte er aufs Neue, rot im Gesicht. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und ballte die Fäuste. »Hm!« Dann sah er auf. »Glauben Sie vielleicht, ich habe zugelassen, dass dieser Bengel das Mädchen schändet? Oder gar noch gefördert? Ich stand nichts ahnend in meinem Saal, als meine Knechte den Burschen herbeischleppten. Er hielt mit beiden Händen sein Hemd fest, um sich zu bedecken, weil ihm seine Beinlinge und seine Bruche um die Knöchel hingen. Ich habe Meister Stwosz sofort gebeten, den Jungen wegzubringen.«
    »Veit Stoß war auch auf der Festlichkeit?«
    »Wit Stwosz ist auf jeder Festlichkeit eingeladen, die ihren Namen verdient.«
    »Ich verstehe, warum der Mann so viel nachts arbeitet – er würde sonst im Leben nicht fertig.«
    »Zofia habe ich von meinen Mägden und einem meiner deutschen Geschäftspartner in ihr Elternhaus bringen lassen. Sie sagte, sie sei nicht verletzt.«
    »Nicht verletzt!«, stieß ich hervor.
    »Hören Sie, ich habe mich nicht erdreistet, nachzusehen, wie weit der Judenbengel überhaupt gekommen war, bevor sie ihn von ihr herunterschlugen.«
    »Danke für Ihr Feingefühl.«
    »Warum sind Sie so feindselig?«
    »Waren Veit Stoß oder Samuel ben Lemel das erste Mal in Ihr Haus eingeladen?«
    Er ließ sich Zeit mit der Antwort. »Wenn Sie den einen einladen, ist der andere immer mit dabei.

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