Der Sohn des Tuchhändlers
Geheimnis mitteilen will, dann packte er plötzlich meinen Arm. Sein Gesicht leuchtete auf, und er näherte sich mir, als wolle er mir ins Ohr flüstern, doch so weit ließ er es dann doch nicht kommen.
»Weil man offenbar diesen Aasgeier aus der Weichsel gefischt hat!«, zischte er und machte schmale Augen vor Befriedigung. »Julius Avellino. Ertrunken.« Er nickte und schnaubte. »Die Verhältnisse können sich jetzt bald wieder normalisieren.«
»Julius Avellino, der Vielbeweinte«, sagte ich.
Friedrich sah betroffen aus. »Ich empfinde nicht Befriedigung wegen seines Todes, sondern weil nun wieder die Normalität einkehren kann.«
»Woher weißt du davon?«
»Wo bist du denn in der letzten Stunde gewesen? Die ganze Stadt summt. Selbst in Kleparz draußen wussten sie es schon. Der Rat hat es nach dem Mittag bekannt gegeben.«
Genau die Zeit, in der ich bei Meister Schlom im Keller gewesen war, taub gegen alles, was man sich in der Gasse zuschreien mochte. Ich nickte. »Als du das gehört hast, …«
»… habe ich mich dafür entschieden, doch noch mal einen Versuch zu riskieren. Abreisen kann ich immer noch.«
»Was hat der Rat verkündet?«
Er runzelte die Stirn. »Wie meinst du das? Es hieß, er müsse ins Wasser gefallen und ertrunken sein. Eine tragische Sache.«
»Umso tragischer, da er in Wirklichkeit ermordet wurde.«
Friedrichs Unterkiefer klappte nach unten. Er riss die Augen auf. » was ?«
»Der Rat hat offensichtlich nicht erzählt, dass jemand Avellino die Kehle durchgeschnitten hat.«
»Guter Gott!«
»Und wo soll er überhaupt ins Wasser gefallen sein?«
»Äh? Was weiß ich … sie haben nichts dazu gesagt … vermutlich vor den Toren Krakaus … die Weichsel fließt ja um Kazimierz herum nach Osten … also beim Vorstadttor, nehme ich an …«
Ich schüttelte langsam den Kopf und sah ihm zu, wie er die Stirn furchte und mitzukommen versuchte. »Nein. Wenn er beim Vorstadttor ins Wasser gefallen wäre – ganz abgesehen von der Frage, was um alles in der Welt ihn überhaupt ans Ufer geführt haben sollte – wäre er bei der ersten Brücke nach Kazimierz hinein hängen geblieben. Er hat sich aber bei der letzten Brücke verfangen.«
»Und was ist daran so wichtig …?«
»Entweder hat ihn jemand dorthin gelockt, umgebracht und in den Fluss geworfen … oder den Leichnam dorthin getragen. Avellino hatte aus eigenem Antrieb nicht das Geringste vor den Mauern von Kazimierz zu suchen – und der Mörder wusste, dass die Wahrscheinlichkeit groß war, dass der Fluss die Leiche mitnehmen und spurlos verschwinden lassen würde.«
Er starrte mich groß an. »Ich … aber … es hört sich logisch an … aber weißt du, was das Schlimmste daran ist: Das bedeutet ja, es wäre ein Hiesiger gewesen!?«
»Wer sonst hätte denn Interesse daran, Julius Avellino zu ermorden?«
»O Gott …«, Friedrich sah aus, als wäre er plötzlich krank geworden. »Das bedeutet aber doch … es war entweder einer von den deutschen Patriziern … oder ein Jude …!«
»Der Rat hat sich ganz schön hineingeritten«, sagte ich geistesabwesend. »Früher oder später wird der Pöbel verlangen, Avellinos Leiche zu sehen. Wenn sie sie nicht rausrücken, wird es heißen, man verheimliche etwas, und Ideen werden wachsen,das Rathaus zu stürmen und den Rat zu zwingen, die Leiche herauszugeben. Oder irgendjemand bringt das Gerücht auf, Avellino sei plötzlich in den Himmel aufgefahren (und er wird mindestens einen Zeugen dafür finden, wenn er es nur lang genug behauptet), und die Leute werden Avellino wie einen Heiligen verehren, anstatt ihm lediglich zuzuhören.«
»Und seine Hetzpredigten …«, Friedrich erbleichte noch mehr.
»… werden zu Psalmen umgewandelt. Zu guter Letzt hat der Rat die Alternative, die Leiche doch noch rauszurücken – nur dann wird offenbar, dass Avellino ermordet worden ist, und der Rat hat erst recht ein Problem. Mit dieser ganzen Geheimniskrämerei haben sie sich mehr geschadet als genutzt. Sie hätten den Mord gleich am frühen Morgen an die große Glocke hängen sollen.«
»Weigel«, sagte Friedrich. Ich starrte ihn an. »Weigel. Der Ratsherr. Du weißt schon, der Vater von der Tochter … also der Vater des Mädchens, das …«
Ich dachte an das Gespräch, das ich heute Morgen mit den seniores der Judengemeinde geführt hatte. »Weigel hat ihn nicht umgebracht«, sagte ich mit Entschiedenheit. »Dazu ist der Mann zu schlau.«
»Er muss es ja nicht selbst gemacht
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