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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ich Sie verstehe.«
    Er breitete die Arme aus. »Niemand versteht ganze Sache. Kommt vor, immer wieder, dass Mann will und Frau nicht und er zwingt sie. Aber niemals jemand predigt darüber mit Namen und so. Sie verstehen?«
    Ich nickte. »Das Opfer hätte zu Schmerz und Leid auch noch die Schande. Ihre Zukunft wäre ruiniert.«
    »Man macht mit Geld, wenn Geld da. Aber nicht so wie hier passiert ist.«
    »Sie glauben, jemand hat es darauf angelegt, dass die ganze Stadt erfährt, was Samuel getan hat? Aber wem sollte das nützen? Am allerletzten doch Zofia.«
    Er nickte und verzog die Lippen und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. »Jetzt eilig«, sagte er. Seine Kameraden wechselten bereits ungeduldige Blicke. »Sie von hier allein nach Hause? Gassen sind nicht gefährlich, nur Marktplatz, wo sind alle Verrückten. Meister Stwosz immer hat eilig .«
    Sie verabschiedeten sich und marschierten schnurstracks durch die Menge über den Platz. Sie drängelten und schubsten nicht, aber nachdem die ersten Gaffer beiseite getreten waren und die zunächst folgenden sich umgedreht und geschaut hatten, wer da kommen mochte, setzte sich die Bewegung fort. Sie kamen kaum langsamer vorwärts, als wenn der Platz menschenleer gewesen wäre.
    »Was ist los mit dieser Stadt?«, fragte Daniel, der neben mich getreten war.
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Dinge ganz schrecklich aus dem Ruder laufen.«
    Er zögerte einen Augenblick. »Und Sie denken, dass Sie eingreifen müssen?«
    Ich hörte die Bitterkeit, die er nicht ganz unterdrücken konnte.
    »So wie du geglaubt hast, dass du eingreifen musstest, als du Paolo und mich hier in der Klemme gesehen hast.«
    »Das ist was anderes. Sie sind mein Vater … und der kleine Bursche hier ist mein Bruder. Aber …«
    »Was denkst du denn, warum ich glaube eingreifen zu müssen? Für die Stadt? Für die Menschen in Krakau? Ein einzelner Mann kann eine ganze Stadt nicht vor der Verrücktheit beschützen, wenn sie beschlossen hat, sich ihr zu ergeben. Aber ein einzelner Mann kann seine Freunde und seine Familie schützen, und wenn jeder den Mut dazu hat, dann ist letztlich doch wieder eine Stadt gerettet.«
    »Wenn es so einfach wäre …« Daniel verdrehte die Augen.
    »Es ist überhaupt nicht einfach.«
    Wir maßen uns mit den Blicken. Ich erkannte, dass wir in allen Gesprächen, die wir geführt hatten, keinen von uns jemals so nahe an den anderen herangelassen hatten.
    »Ich habe jetzt einfach Hunger«, sagte Daniel, und das Tor war wieder zu. Er grinste schief. »Übrigens – sehen Sie die Kerle da drüben, die Stadtwachen?«
    »Ja.«
    »Die waren schon da, als Veit Stoß’ Gesellen und ich ankamen. Die haben zugesehen, wie Sie in Schwierigkeiten gerieten.«
    »Und haben nicht eingegriffen …«
    »Sie hätten sicherlich Ihre Überreste vom Pflaster gekratzt, wenn alles vorüber gewesen wäre.« Er zuckte mit den Schultern, aber er überzeugte mich nicht mit seiner Darstellung des indifferenten, lässigen Sohnes. Andererseits war seine Darstellung ein deutliches Zeichen dafür, dass er mich nicht sehen lassen wollte,dass es in seinem Inneren vielleicht anders aussah. Das Tor war wirklich wieder zu, und ich fand keine Worte, um es wieder aufzuschließen, während wir zu Janas Haus gingen, Paolo immer noch auf Daniels Arm und sich dort im Augenblick offensichtlich geborgener fühlend als bei mir.

    Nicht lang nach dem Mittagläuten gab der Rat dem Geschrei des Pöbels nach – oder besser: Die Gemüter der Ratsmitglieder gaben dem Druck nach –, und sie schickten einen Herold, um zu verkünden, dass Julius Avellino, Wohltäter des Volkes und Held der starken Worte, von Gott abberufen worden sei, wie der Herr diejenigen, die ihm teuer sind, stets für uns Menschen viel zu früh abberuft, der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gesegnet sei der Name des Herrn und natürlich auch der von Julius Avellino, für dessen Seelenheil im Übrigen noch zur heutigen Vesperstunde eine Messe gelesen würde, und ein jeder sei herzlich gebeten, dort sein Gebet für den teuren Verblichenen zu sprechen, und so wolle man, was alles andere anginge, auf Gott vertrauen, uns in unserer berechtigten Trauer zu trösten und derweil das von ihm befohlene Tagwerk wieder aufnehmen, Amen und Gehet hin in Frieden und beweint mit uns den Toten … der Rat der Stadt Krakau.
    Der Pöbel pfiff auf die Tränen, die der Rat weinte oder zu weinen vorgab, und glaubte kein Wort. Er ging von

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