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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Häuser aufgezählt, die ebenfalls einen ähnlichen Schmuck bekamen.«
    »Für heute genügt es mir, das können Sie mir glauben.«
    Er musterte mich neugierig. »Aber auf dem Markt waren sie nicht?«
    »Bis vor einer Stunde …«
    Miechowita wiegte den Kopf. »Dann haben Sie das Beste verpasst.«
    Er hatte mich, und es machte keinen Sinn, es zu leugnen. »Was?«
    »Die Rede des vermutlich größten Narren, der heute auf dem Marktplatz gesprochen hat – obwohl die Vorgabe des Rates, der versuchte, die Meute nach Hause zu schicken, in puncto Narretei eine stramme Vorgabe war.«
    »Von wem reden Sie eigentlich?«
    Er hob die Linke, als hielte er einen Meißel darin, und klopfte mit der leeren Rechten darauf, als wäre sie ein Hammer. »Wit Stwosz«, sagte er. »Der Bildschnitzer. Wenn Sie und Ihre Landsleute sich morgen früh beim Versuch wiederfinden, das Feuer auf Ihren jeweiligen Scheiterhaufen auszupusten, dann können Sie sich bei ihm bedanken.«

    Veit Stoß war gekommen, war auf das Dach der Kleinen Waage geklettert (ob der Baumeister des schmucklosen Gebäudes geahnt hatte, wozu man sein Werk dereinst verwenden würde?) und hatte zu reden begonnen. Veni, vidi, vici, hatte Caesar gesagt. Veit Stoß hatte eine ganze Menge mehr gesagt, und jedes einzelne Wort davon hätte er sich sparen können.
    Er hatte sein Glück darüber ausgedrückt, hier in Krakau arbeiten zu können, und seine Freude, dass man ihn – den Meister aus Nürnberg – trotz der scharfen Konkurrenz der polnischen Bildschnitzer ausgesucht hatte. Er hatte sich bedankt, dass man ihm ein so großes Haus in einer so vornehmen Gegend wie der Vorstadtgasse zur Verfügung gestellt hatte und dass man ihn mit Geld, Hilfskräften und Material so freizügig unterstützte, wie es sich ein Künstler nicht besser hätte wünschen können.
    »Ich nehme an«, sagte Miechowita, »er wollte damit ausdrücken, wie sehr er sich Krakau zum Dank verpflichtet und verbunden fühle. Sie können sich denken, wie es bei den Leuten angekommen ist, die ohne Arbeit sind, weil der Rat lieber deutsche Handwerker beschäftigt und deutschen Kaufleuten Aufträge gibt – oder bei denen, die wie die Ratten in den Hütten vor der Stadt hausen, weil sie nicht genug Geld haben, um sich die Bürgerrechte zu erkaufen.«
    Danach leitete Stoß, der sich durch das Geschrei und die Pfiffe entweder nicht aus der Ruhe bringen ließ oder sie als Beifall wertete, zu einem Lob auf die polnischen Gesellen über, die ihn bei seinen Arbeiten unterstützten, und demonstrierte seineFreude darüber, wie gelehrig sie sich anstellten und die Überraschung, die er empfunden hatte, solche Talente unter den polnischen Krakauern zu finden.
    »Ich hätte nie gedacht, wie gut ihr euch dressieren lasst, nachdem ich noch weniger gedacht hätte, überhaupt einen zu finden, der auch nur rudimentäre Kenntnisse seines Handwerks hat.«
    Miechowita nickte zu meinen Worten. »Genau so kam es an. Natürlich hat er es als Lob gemeint.«
    Ich verdrehte die Augen.
    Zuletzt – und das war der eigentliche Grund seines Auftritts – warf sich Stoß für Samuel ben Lemel in die Bresche.
    »Warum hat ihm denn niemand geraten zu schweigen?«, fragte ich.
    »Ja, warum ist niemand zu dem leuchtendsten aller leuchtenden Sterne am Himmel des Krakauer Handwerks gegangen, zu dem Mann, dem man für seine Arbeit so viel Geld versprochen hat, wie die gesamte Krakauer Bevölkerung in einem Jahr erwirtschaftet, und hat gesagt: Mann, bleib bei deinen Schnitzereien und halt ansonsten das Maul?«
    »Ihr Menschen von Krakau«, hatte Veit Stoß gerufen, »hört auf damit, einem begnadeten Künstler Unrecht zu tun. Ihr redet davon, was er Schlimmes getan haben soll, aber keiner fragt, was ihm Schlimmes widerfahren ist. Samuel ist wie ein Kind, und als solches ist er zu mir – zu Veit Stoß! – gekommen und hat mir erzählt, wie es ihm erging. Er ist betrogen worden! Er ist in die Falle gelockt worden! Man hat ihm einen Topf voller Honig hingestellt und ihn aufgefordert, davon zu kosten, und als er – nach langem Widerstand! – der Aufforderung folgte, hat man dafür mit den Fingern auf ihn gezeigt und ihn einen Verbrecher geheißen. Ihr Menschen von Krakau, hört mir zu, damit ihr die Wahrheit erfahrt: Samuel ben Lemel ist hereingelegt worden!«
    Miechowita schwieg und schüttelte den Kopf.
    »Und?«, fragte ich.
    »Jemand schrie: ›Von einer deutschen Schlampe!‹ Und dieser Trottel auf dem Dach der Kleinen Waage, noch immer mit

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