Der Sohn des Tuchhändlers
fiel zurück, die Arme blieben schlaff und die Hände neben seinem Körper auf dem Boden liegen, er war schwer und leicht wie ein Lufthauch zugleich, und ich wusste – im Traum –, dass sein Lachen jetzt die Engel erfreute und dass ich seine Zärtlichkeit nie mehr fühlen würde …
Mein Traum. Ich dachte: Nein. Nein. nein .
Der Schmerz …
In der Realität hörte ich Paolo schreien, noch als ich aus dem Saal stürmte. Er lag von der Welt verlassen am Ende der Treppe, die vom Trockenspeicher ins Obergeschoss führte, war äußerlich und innerlich vollkommen unverletzt und brüllte vor Wut darüber, dass er die Treppe hinuntergefallen und dass scheinbar niemand da war, der von der Hinterhältigkeit dieser Treppe, ihn hinabzustürzen, Kenntnis nahm und ihn gebührend darüber tröstete. Ich bückte mich und hob ihn vom Boden auf, und er krakeelte mir ins Ohr und speichelte meine Wange ein und kratzte mich gleichzeitig am Hals in seinem Bemühen, die Arme um mich zu schlingen, und schrie aus Frustration, bis ich ihn in den Saal getragen und Jana auf den Schoßgesetzt hatte, die wie eine Kleiderpuppe auf dem Boden saß. Dann saßen wir gemeinsam im Saal und lachten und weinten gleichzeitig über Paolos rotes Gesicht und seine immer weiter steigende Wut angesichts unserer Reaktion, bis Mojzesz Fiszel auf einem seiner unerwarteten Besuche hereinkam, uns Paolo aus den Armen pflückte und summend und über unser elterliches Ungeschick brummend im Saal auf und ab ging, bis Paolo mit dem Gesicht in seinem Bart eingeschlafen war. An diesem Abend leerte ich einen Krug Wein mit Mojzesz, und als er gegangen war, taumelte ich ins Schlafzimmer, weckte Jana (später fiel mir auf, dass sie erstaunlich schnell wach war) und liebte sie mit einer Intensität, dass unsere Lautstärke dem Gebrüll Paolos sicher in nichts nachstand.
Schmerz und Angst und Träume … wir sind alle nur Sklaven unseres Geschicks und Gefangene unserer Gefühle, und was wir an Gutem tun, tun wir in der Hoffnung, damit die Rechnung abzumildern, die uns das Leben irgendwann präsentiert …
Der Mann mit der Lederschürze hob Paolo über seinen Kopf, um ihn auf den Boden zu schmettern und ihn zu ermorden, und ich hatte nicht einmal die Kraft, » nein !« zu schreien.
»Sieh mal einer an«, sagte der Wortführer der Studenten erfreut.
»Ich bin zehn Tage lang durch jedes Dreckskaff zwischen meiner Heimatstadt und hier gereist«, erklang eine neue Stimme, »ich habe in den miesesten Herbergen der Welt übernachtet und die billigste Kuhpisse getrunken, die der Schankwirt Wein zu nennen wagte; ich habe meine Schwester in der Obhut eines Bordellwirts zurückgelassen, nur um hierher zu kommen und mit meinem Vater zu sprechen. Ihr Idioten glaubt doch hoffentlich nicht, dass ich nach all diesen Strapazen zulasse, dass ihr ihm die Zähne einschlagt und ich wieder nicht mit ihm reden kann?«
Der Mann mit der Lederschürze stellte Paolo hinter sich auf den Boden, strich ihm über die Haare und lächelte ihn an, dannstellte er sich vor ihn und verschränkte die Arme wie ein Leibwächter, der verhindert, dass jemand auch nur im Entferntesten aufdringlich zu seinem König wird.
»Daniel«, hörte ich mich sagen, während ich mich gleichzeitig fragte, wie lang ich noch meine Knie durchdrücken konnte, bevor ich zu schlottern begann, »ein bisschen mehr Respekt vor deinem alten Herrn wäre angebracht.«
Die Studenten waren zu acht; Daniel und die jungen Männer in seiner Begleitung machten fast ein Dutzend voll. Die Studenten hatten die blassen Gesichter von Leuten, die täglich zu viel Wein und zu wenig Schlaf bekamen und die ihre Tage verdämmern, ohne sich anzustrengen; an den Armen von Daniels Freunden wölbten sich dagegen die Muskeln von Menschen, die ihr Tagwerk im Schweiß ihres Angesichts vollbringen. Ich ahnte, dass sie Gesellen, Lehrlinge und Hilfskräfte von Veit Stoß waren.
»Ja«, sagte Daniel grinsend. »Entschuldigen Sie bitte, Vater.«
Ich ließ den Mann in meinem Griff vorsichtig los. Die Augen seiner Kumpane waren so groß wie florentinische Silbermünzen, aber ohne deren Glanz.
»Gern geschehen«, sagte ich. Ich stellte fest, dass ich die Knie nicht mehr durchzudrücken brauchte.
Daniel trat aus der Mitte seiner Begleiter hervor und sah sich um. Die Blicke der Studenten flogen zwischen seiner Gruppe und mir hin und her. Paolo spähte hinter der massiven Gestalt seines Beschützers hervor, die Augen weit aufgerissen und der Ausdruck der Panik
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