Der Sohn des Verräters - 21
einer ausgiebigen Massage und einem sauberen Bett. Noch mehr wünschte sie sich, an diesem Tag nicht mehr weiterreiten zu müssen.
Der Hof war viel zu klein, um den ganzen Trauerzug aufnehmen zu können, deshalb hielten die meisten Wagen und Kutschen außerhalb der Mauer, die an der Straße entlanglief.
Dennoch war der Hof bereits voll, als der Leichenwagen hineingezogen wurde und die Mitglieder des Comyn und ihre Wachen bei dem Gasthaus vorritten. Mehrere Stallknechte stürzten sich in das Getümmel und ergriffen die Zügel der Pferde, während die Reiter abstiegen; sie riefen einander knappe Anweisungen zu und versuchten, das Chaos zu ordnen.
Marguerida ging auf den Eingang zu und bemerkte dabei schwarze Flecken auf den Pflastersteinen unter ihren Füßen.
Ein schwacher Brandgeruch schien in der Luft zu hängen, gedämpft vom jüngsten Regen, aber immer noch wahrnehmbar.
Sie war momentan abgelenkt und wurde überrumpelt, als sich zwei Arme um ihre Mitte schlangen.
„Mutter!“ Sie drehte sich in der Umarmung um und blickte auf ihren ältesten Sohn hinab, der immer noch einige Zentimeter kleiner war als sie. Das dunkle Haar trug er offen, wie es ihm am liebsten war, und seine Augen leuchteten, als freute er sich ebenso sehr wie sie über das Wiedersehen. Seine Abenteuer schienen ihm nicht geschadet zu haben, und er strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das sie vorher nicht an ihm gekannt hatte. „Domenic! Du Halunke!“ Zu einem strengeren Tadel konnte sich Marguerida nicht aufraffen, obwohl sie vorher ein paar beißende Verurteilungen geübt hatte. Die Angst viel wie ein schwerer Stein von ihr ab, und ihr Herz hätte vor Freude zerspringen mögen. Sie drückte ihn fest an die Brust und spürte seine Schulterknochen unter dem Hemd und dem Übergewand.
„Es war deine eigene Schuld“, antwortete er, nachdem er sie rasch auf die Wange geküsst hatte.
„Meine Schuld? Wie bist du denn zu dieser bemerkenswerten Schlussfolgerung gelangt?“ „Wenn du nicht gesagt hättest, ich sei langweilig und würde dir nie Sorgen machen, hätte ich vielleicht nicht beschlossen, auf eigene Faust loszuziehen.“ Belustigt folgte Marguerida dieser bestechenden Argumentation. Sie war so erleichtert, Domenic wohlauf an ihrer Seite zu haben, dass sie fast allem zugestimmt hätte. „Dann muss ich ja wohl noch froh sein, dass du nicht versucht hast, Burg Comyn auf den Dachzinnen zu umrunden.“ Domenic lachte. „Das hätte ich vielleicht versucht, aber ich bin nicht schwindelfrei.“ Dann stieß er sich ein wenig von ihr weg und schien wegen etwas nervös zu sein. Marguerida entdeckte ein schmuddelig aussehendes Mädchen, das verlegen hinter ihm stand. „Ich möchte dir meine Freundin Illona Rider vorstellen, Mutter. Sie hat ihr ganzes Leben beim Fahrenden Volk verbracht und kann dir alles über die Leute erzählen.“ Sein Tonfall war eine Mischung aus Stolz und Vorsicht.
Marguerida wusste im ersten Moment nicht recht, was sie davon halten sollte. Dann streckte sie die rechte Hand aus.
„Hallo. Ich bin Marguerida Alton-Hastur, und ich freue mich, eine Freundin meines Sohnes kennen zu lernen.“ Das Mädchen sah die dargebotene Hand einen Moment lang an, als hätte es eine Schlange vor sich, bevor es sie behutsam ergriff und kurz schüttelte. Die Kleine wirkte unterernährt und wenig anziehend auf Marguerida. Ihr drahtiges Haar stand wild in alle Richtungen ab, weil es sich aus der hölzernen Spange in dem dürren Nacken gelöst hatte, und die grünen Augen waren zu groß für das schmale Gesicht. Ihr Mantel roch nach Asche und Rauch, und die Kleidung darunter schien für eine größere Person gemacht worden zu sein. Das Mädchen betrachtete Marguerida halb ängstlich und halb trotzig, bevor es den Blick zu den versengten Steinen senkte.
„Ich weiß längst nicht so viel, wie Domenic glaubt“, murmelte Illona heiser und scharrte mit den Füßen.
„Egal, was du auch weißt, es interessiert mich. Ich bin bereits neugierig auf das Fahrende Volk, seit ich vor sechzehn Jahren zum ersten Mal ihre Wagen sah. Mein Freund Erald hat mir zwar das eine oder andere erzählt, aber er ist zu sehr von seiner Musik besessen, als dass er auf Einzelheiten achten würde.“ Wer war dieses Mädchen? Der kurze körperliche Kontakt hatte Marguerida verblüfft, weil sie deutlich das Vorhandensein von Laran gespürt hatte. Und warum trug die Kleine Domenics Mantel, während er an diesem kalten Tag in Hemdsärmeln und seinem Übergewand dastand?
„Meint Ihr
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