Der Sohn des Verräters - 21
seines Sohnes grinste er breit, und Domenic entwand sich dem Griff seiner Mutter und trat seinem Vater entgegen.
Marguerida verfolgte, wie ihr Mann den blonden Kopf senkte und Domenic seinen dunklen hob. „Ich bin so froh, dich wohlauf zu sehen, mein Sohn.“ „Onkel Herm hat schon dafür gesorgt, dass mir nichts geschieht, Vater.“ Die beiden tauschten noch etwas aus, unausgesprochene Worte, und Marguerida sah, wie sich das eher ernste Gesicht ihres Sohnes aufhellte.
Sie warf einen Blick über die Schulter, beobachtete Herm und Katherine wieder und fragte sich, was sich wohl zwischen den beiden abspielte. Es wäre leicht gewesen zu schnüffeln, aber sie hielt ihre Neugier im Zaum. Kate fuchtelte mit einem Finger vor dem Gesicht ihres Gatten herum, und Herm senkte den Kopf ein wenig, so dass sein kahler Schädel im weichen Licht glänzte. Er ähnelte so sehr einem unartigen Jungen, der ausgeschimpft wird, dass sich Marguerida rasch wegdrehen musste, um das Lachen zu verbergen, das unwillkürlich in ihr aufstieg.
Sie betraten das warme Gasthaus, Essengeruch wehte ihnen entgegen. Ein lächelnder Mann kam eilfertig aus dem rückwärtigen Teil des Gebäudes und wischte sich die Hände an einer weißen Schürze ab. Er verbeugte sich und begrüßte sie wie alte Freunde, nicht wie Fremde, dann führte er sie in den Speisesaal. Die Tische waren ersichtlich mit dem besten Leinen gedeckt, und die ganze Szene war so alltäglich, dass Marguerida kaum glauben konnte, dass sie nach dem Mahl absichtlich in einen Hinterhalt reiten würden.
Wenn sie nicht aufhörte, darüber nachzudenken, würde sie noch krank vor Sorge werden, sagte sie sich entschlossen, als sie den Mantel ablegte. Sie hängte ihn an einen Haken, und das Mädchen, Illona, tat das Gleiche. Warum es wohl den Mantel ihres Sohnes trug? Marguerida wunderte sich erneut und runzelte die Stirn über dieses kleine Rätsel. Doch schon ertappte sie sich dabei, dass sie wie eine herrschsüchtige Mutter dachte, wie Lady Javanne, besorgt, ihr Sohn könnte sich in dieses magere Mädchen verliebt haben, das doch wohl auf keinen Fall und egal, wer ihr Vater war, eine angemessene Gemahlin für den künftigen Herrscher sein konnte. Sie war einen Moment lang über sich selbst verblüfft. Seit wann war sie so hochnäsig?
Illona schien ihre Gedanken zum Teil wahrzunehmen, sie wurde so rot, dass sich die Sommersprossen auf ihrer kecken Nase abhoben. „Alle meine Sachen sind im Wagen verbrannt, Domna , deshalb hat mir Domenic seinen Mantel geliehen und eine von MacHaworth’ Töchtern hat mir ein paar Kleidungsstücke von sich gegeben”, erklärte sie und bemühte sich, ruhig zu klingen, was ihr nicht besonders gut gelang.
„Verbrannt? Wann war das?“ Marguerida wurde schlagartig wütend, ihr Wohlbefinden von eben war verflogen. Sie erkannte, dass ihr Vater und ihr Mann, sicher in der allerbesten Absicht, ihr nicht alles berichtet hatten, was in Carcosa vorgefallen war. Sie warf Mikhail einen Blick zu, und er tat ihr den Gefallen, verlegen zu werden. Verzeih mir, Caria – du hattest schon so viele Sorgen, da brachte ich es einfach nicht über mich, dir noch weitere zu machen.
Verdammt noch mal, Mik!
Das Mädchen zuckte zusammen, weil es Margueridas schneidenden Zorn auffing, aber dessen Richtung missverstand. Die Kleine begann am ganzen Leib zu zittern. „Am Abend vor drei Tagen, als wir dieses Stück aufführten, das … es war schrecklich. Die Leute sind wütend geworden und haben unsere Wagen angegriffen, und meine Tante Loret wurde getötet und … seid bitte nicht böse mit mir!“ Über ihr Gesicht begannen Tränen zu strömen, als hätte sie diese seit Tagen zurückgehalten und könnte sich nun nicht länger beherrschen.
Marguerida antwortete nicht sofort. Sie hatte gewusst, dass es eine Art Krawall gegeben hatte, und vermochte sich nun die Spuren auf den Pflastersteinen und den leichten Aschegeruch im Hof zu erklären. Sie wusste sogar, dass es Tote und Verletzte gegeben hatte. Sie hatte sich aber nicht wirklich dafür interessiert, weil sie nur an ihren Sohn und dessen Sicherheit gedacht hatte. Bis zu diesem Augenblick war die ganze Sache abstrakt und weit entfernt von ihr gewesen. Jetzt spürte sie die volle Wucht des Ereignisses und sah die menschliche Seite der Tragödie. Sie litt mit diesem Kind vor ihr, das die einzige Familie verloren hatte, die es je kannte. Dyan Ardais, falls er tatsächlich Illonas Vater war, wofür einiges sprach, würde die Lücke nicht
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