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Der Sohn des Verräters - 21

Der Sohn des Verräters - 21

Titel: Der Sohn des Verräters - 21 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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die Bäume, warf lange Schatten und färbte die Baumstämme golden. Dann sah ich auf meine Hände hinab und entdeckte, dass ich in einer Hand einen Stock hielt und dass der Boden vor mir mit Kritzeleien bedeckt war, die ich gemacht hatte, ohne es zu bemerken, kleine Gestalten und Gebäude. Da wusste ich in meinem tiefsten Innern, was meine Bestimmung war, ich ging nach Hause und erzählte es meiner Nana, nachdem ich eine riesige Schüssel Eintopf gegessen und Magenschmerzen davon bekommen hatte.“ „Deiner Nana?“ „Der Mutter meiner Mutter.“ „Das klingt ja sehr interessant, abgesehen von der Sache mit dem Fasten.“ Gisela klopfte sich auf die Taille und seufzte.
„Und niemand hat gefragt, ob du dir sicher bist, oder gedacht, du hast das Ganze vielleicht nur erfunden oder so?“ „Die Leute auf Renney glauben, dass Visionen ein Geschenk der Göttin in ihren vielen Erscheinungsformen sind, und an einer zu zweifeln wäre … unvorstellbar.“ „Ich verstehe. Wie alt warst du, als das passiert ist?“ „Zwölf.“ Gisela seufzte. „Wir haben keine solchen Visionen hier auf Darkover, und ich fürchte, ich bin viel zu alt, um noch damit anzufangen. Aber es klingt wunderbar.“ „Man ist nie zu alt, um mit etwas zu beginnen, Gisela. Hör auf, so zu reden, als wäre dein Leben schon vorbei. Du bist jünger als ich! Ich kenne eure Sitten hier nicht, aber was könnte es schaden, wenn du etwas tust, das dir aufrichtig Freude macht, anstatt nur herumzusitzen und … dich selbst zu bedauern.“ Gisela zuckte zusammen. „Da haben wir’s. Wie bist du nur so klug geworden?“ „Das bin ich gar nicht, aber wenn ma n seine Tage damit verbringt, Leute zu malen, sie auf Leinwand zu bannen versucht, entdeckt man sehr viel. Die Art, wie sie die Hände falten oder die Lippen schürzen, verrät einem etwas über sie, häufig etwas, das sie selbst lieber nicht wissen wollen.“ „O h.“ Gisela ließ schuldbewusst die Hände unter ihrem Mantel verschwinden, dann zuckte sie die Achseln. „Es ist wohl zu spät, deinem Blick zu entrinnen, hab ich Recht? Welche Erkenntnis hast du über meinen Charakter gewonnen, die ich deiner Ansicht nach lieber nicht wissen möchte?“ „Bist du dir sicher, dass ich darauf antworten soll?“ Gisela dachte kurz darüber nach. „Ich glaube, ja. Mein ganzes Leben lang war ich die Gisela anderer Leute. Ich war das Schoßtier meines Vaters, wenn er mich überhaupt bemerkte, und später seine Schachfigur. Ich war Ehefrau, dann Witwe und wieder Ehefrau – aber nichts davon scheint mit mir zu tun zu haben. Besser kann ich es leider nicht erklären.“ „Du hast es gut erklärt. Ich sehe eine sehr intelligente Frau vor mir, die anderen Leuten im Grunde nicht gefallen will.“ „Du meinst, ich bin egoistisch? Das wusste ich bereits.“ „Nein, denn wenn du wirklich egoistisch wärst, würdest du tun, was du willst, und dir keine Gedanken über die Folgen machen. Stattdessen versuchst du ständig so zu sein, wie es andere von dir erwarten, und das macht dich am Ende zornig. Also bestrafst du dich, indem du gemeine Dinge tust, für die du dich selbst hassen kannst.“ „Au weia!“, fing Gisela an, dann schaute sie nachdenklich drein.
„Tut es dir Leid, dass du gefragt hast?“ „Nein, aber du bist viel zu nahe am Kern der Sache, als dass mir noch wohl dabei wäre. Redest du mit Hermes auch so?“ „Viel zu selten!“ Gisela schüttelte verwundert den Kopf. „Das muss ihn fürchterlich ärgern.“ „Ja. Aber jetzt erzähl mir, warum du Angst hast, Dinge zu tun, die du gern tun würdest.“ „Wenn ich als kleines Mädchen geschnitzt habe, dann habe ich die Zeit völlig vergessen und war … ganz woanders. Ich habe auf nichts anderes mehr geachtet, als den Gegenstand im Holz zu finden. Und das gehört sich nicht für eine Frau, jedenfalls hat mir das mein Kindermädchen immer wieder eingetrichtert.“ „Warst du versunken? Besessen? Hast du deine Umgebung völlig vergessen?“ Gisela stiegen Tränen in die Augen. „Du weißt, was ich meine?“ „Natürlich, und ich bin mir sicher, Marguerida würde es auch wissen, obwohl ich verstehe, dass du ihr niemals hättest erzählen können, was du mir gerade erzählt hast. Ich kenne zwar Rafael nicht sehr gut, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas dagege n hat, solange du nicht mit Holzsplittern am Nachtgewand ins Bett kommst.“ „Das klingt so einfach, wenn du es sagst.“ Gisela stöhnte beinahe.
„Willst du dich denn wirklich

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