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Der Sohn des Verräters - 21

Der Sohn des Verräters - 21

Titel: Der Sohn des Verräters - 21 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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„Auch nicht, als du ein kleines Mädchen warst?“ Zur Überraschung ihrer Schwägerin errötete Gisela und blickte auf ihre Hände hinab. Sie murmelte etwas in die Falten ihres Mantels.
    „Verzeihung, aber das habe ich nicht ganz verstanden”, sagte Kate.
Die Angesprochene hob den Kopf und sah Katherine eine Minute lang direkt an, ohne ein Wort zu sagen. „Da gab es schon etwas.“ Sie öffnete und schloss die Hände mit dem zusätzlichen Finger, der in den Familien der Domänen üblich war, wie Katherine von Herm wusste, und der dennoch sehr merkwürdig aussah. „Ich habe gern geschnitzt – eine ganz gewöhnliche Sache. Mein Kindermädchen hat es mir untersagt, weil es schmutzig sei und weil ich mich mit dem Messer schneiden könnte. Ich habe mich so geschämt. Ich habe jahrelang nicht daran gedacht – bis vor ein paar Tagen.“ Gisela hörte auf zu reden und sah aus dem Fenster der Kutsche.
„Es war der Tag eurer Ankunft, ich habe das fantastische Schachspiel betrachtet, das mir Marguerida zu Mittwinter geschenkt hat, und mir gedacht, was für ein Glück es doch sei, dass die Figuren dem Stein und den Knochen entronnen sind, aus dem sie bestehen. Ich fühlte mich, als wäre ich irgendwie in Stein gefangen …“ Katherine krümmte sich jetzt nahezu vor Unbehagen. Sie war wütend, dass eine derart intelligente Frau in einer so fürchterlichen Falle saß. Stein, wie wahr. Sie holte scharf Luft und sagte: „Ich finde es schrecklich, dass deine Kinderfrau dich beschämt hat, Gisela, außerdem ist es höchste Zeit, dass du aufhörst, dein Leben von den Erwartungen anderer Leute bestimmen zu lassen. Ich denke, dass du unglaublich tapfer bist. Ich weiß nicht, ob ich es ausgehalten hätte, erst mit einem Trunkenbold verheiratet und dann als Geisel gehalten zu werden!“ Das hässliche Wort stand für einen Moment fast sichtbar zwischen ihnen. „Und was die Tatsache betrifft, dass du mehr wie Marguerida sein möchtest und weniger wie du selbst – Unsinn! Wenn überhaupt, solltest du mehr du selbst sein!“ Gisela brachte ein unsicheres Lachen hervor. „Ich glaube, wenn ich noch mehr ich selbst wäre, würde mich früher oder später jemand erwürgen.“ „Ich meine nicht dein niedrigstes Ich, sondern deine besten Seiten.“ Katherine spürte Ungeduld in sich aufsteigen. Nana hatte immer gemeint, sie würde sich deswegen irgendwann einmal großen Ärger einhandeln, und sie hatte sich ernsthaft bemüht, geduldiger zu werden. Jetzt hatte sie das Gefühl, in all den Jahren nichts gelernt zu haben.
„Meine besten Seiten? Du bist entweder die großherzigste Frau, die je gelebt hat, oder du hast nichts verstanden!“ „Kann sein. Vielleicht bist aber auch du diejenige, die nichts versteht. Ich bin völlig anders erzogen worden als du!“ „Erzähl mir davon, bitte.“ Sie versuchte wieder ruhig zu werden. Sie konnte Giselas Vergangenheit nicht ändern, aber vielleicht fand sie einen Weg, ihrer Schwägerin zu einer besseren Zukunft zu verhelfen. „Auf Renney glauben wir, dass jeder Mensch einen Zweck hat, oder mehr als einen, und dass ein jeder verpflichtet ist, diesen zu entdecken. Wir wenden eine Menge vertrackter Rituale an, um herauszufinden, was einmal aus uns werden soll. Die Vorstellung, dass ein anderer beschließt, was wir aus unserem Leben zu machen haben, ist für mich nur schwer nachvollziehbar.“ „Wie hast du zum Beispiel herausgefunden, dass du Malerin werden solltest?“ In Giselas strahlenden grünen Augen lag ein freundliches Lächeln, und Kate zweifelte nicht daran, dass Herms Schwester aufrichtig an der Antwort interessiert war.
Die Spannung zwischen den beiden wich zum Teil.
„Ich habe drei Tage lang gefastet, und dann saß ich eine Nacht in einem kalten Wäldchen und wartete. Es war sehr unangenehm, aber es wurde von einem erwartet, also habe ich es getan.“ Sie kicherte, nun viel gelöster. „Meine Zehen waren wie Eis, mein Magen knurrte, und stundenlang geschah überhaupt nichts. Ich dachte beinahe schon, alles wäre umsonst gewesen, da … passierte endlich etwas. Von einem Augenblick auf den anderen fror ich nicht mehr, und mein Kopf war voller Bilder von Menschen und Orten, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.“ Sie hielt inne und holte tief Luft. „Ich hatte schreckliche Angst und war gleichzeitig unendlich glücklich, das Herz hüpfte in meiner Brust. Ich saß einfach nur da und fühlte diese unglaubliche Sache, schließlich begann es zu dämmern, und das Licht drang durch

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