Der Sohn des Wolfs
Männer, aber diese beiden waren kaum etwas anderes als Kinder. Sie entdeckten recht schnell, daß eine dickflüssige Mischung von Zucker und warmem Wasser gut schmeckt, und sie tunkten ihre Pfannkuchen und ihr Brot in den weißen Sirup. Dann wieder schwelgten sie verheerend in Tee und Kaffee und namentlich in Dörrobst. Der erste Streit zwischen ihnen entstand über die Zuckerfrage. Und es ist eine sehr ernste Sache, wenn zwei Männer, die vollkommen aufeinander angewiesen sind, zu streiten beginnen.
Weatherbee liebt es, laut über Politik zu disputieren, während Cuthfert, der am liebsten seine Kupons geschnitten und die Menschheit ihre Wege hätte schreiten lassen, nicht auf den Gegenstand einging oder nur hin und wieder verblüffende Aussprüche tat. Der Kontorist jedoch war zu dumm, die elegante Form, die der andere seinen Gedanken verlieh, zu schätzen, und der Umstand, daß er sein Pulver vergebens verschoß, reizte Cuthfert. Er war gewohnt, die Leute durch seinen Witz zu blenden, und Mangel an einem Zuhörerkreis wurde für ihn direkt zu einem Unglück. Er empfand das als einen wirklichen Kummer und zog unwillkürlich seinen hohlköpfigen Kameraden dafür zur Verantwortung. Außer dem Kampf ums Dasein hatten sie nichts gemein – nicht den geringsten Berührungspunkt. Weatherbee war Kontorist und hatte sein ganzes Leben lang nichts als seine Geschäftsbücher gekannt; Cuthfert war akademisch gebildet, dilettierte als Maler und hatte allerhand geschrieben.
Der eine war Proletarier, hielt sich aber selbst für gebildet, der andere war gebildet und wußte das. Man ersieht hieraus, daß ein Mann wohl gebildet sein kann, ohne auch nur den geringsten Instinkt für aufrichtige Kameradschaft zu besitzen. Der Kontorist war ebenso materialistisch wie der andere ästhetisch, und seine Liebesabenteuer, über die er sich eingehend verbreitete, und die zum größten Teil nur in seiner Phantasie existierten, wirkten auf den überempfindlichen Akademiker wie giftige Gasschwaden. Der Kontorist erschien ihm wie ein schmutziges, unkultiviertes Tier, das in den Kot zu den Schweinen gehörte, und das sagte er ihm; und dafür bekam er zu wissen, daß er ein Muttersöhnchen und ein Philister sei. Weatherbee hätte im Leben nicht das Wort »Philister« erklären können, aber es befriedigte ihn, und das war die Hauptsache. Weatherbee sang bei jedem dritten Ton vorbei und sang stundenlang Lieder wie ›Oh, Susanna‹; und Cuthfert weinte vor Wut, bis er es nicht mehr aushalten konnte und in die Kälte hinausfloh.
Aber es gab kein Entrinnen. Der starke Frost war nicht lange zu ertragen, und die kleine Hütte mit ihren Betten, ihrem Tisch und Ofen beengte sie.
Die Anwesenheit des einen wirkte auf den andern wie eine persönliche Beleidigung, und sie sanken in verdrossenes Schweigen, das mit jedem Tage unerträglicher wurde. Hin und wieder konnte ein Aufblitzen im Auge oder das leichte Bewegen der Lippe sie verraten, obwohl sie bemüht waren, einander in den Perioden des Schweigens völlig zu ignorieren. Und in jedem erstand eine große Verwunderung, warum Gott nur den andern geschaffen hatte. Da sie nur wenig zu tun hatten, wurde ihnen die Zeit zu einer unerträglichen Bürde. Das machte sie natürlich noch fauler. Sie sanken in eine physische Schlaffheit, aus der sie nicht wieder herauskommen konnten, und die sie gegen die geringste Arbeit rebellieren ließ.
Eines Morgens, als Weatherbee an der Reihe war, das gemeinsame Frühstück zu bereiten, rollte er sich aus den Decken und zündete zuerst die Tranlampe, dann das Feuer an, während der Kamerad noch schnarchte. Der Inhalt der Kessel war gefroren. Und es gab kein Wasser in der Hütte, um aufzuwaschen. Aber daraus machte er sich nichts. Während das Eis in dem Kessel auftaute, schnitt er Speck in Scheiben und machte sich an die verhaßte Arbeit des Brotbackens.
Cuthfert war listig mit halbgeschlossenen Lidern Zeuge der Vorgänge.
Die Folge war eine Szene, in der sie sich gegenseitig schwer beleidigten; dann einigten sie sich, daß von jetzt an jeder sein Essen selbst kochen sollte.
Eine Woche darauf versäumte Cuthfert das allmorgendliche Aufwaschen, aß aber nichtsdestoweniger mit Wohlbehagen das Mahl, das er bereitet hatte. Weatherbee grinste. Von jetzt an verschwand der dumme Brauch, aufzuwaschen, von ihrer Tagesordnung.
Als der Zucker und andere kleine Leckereien auf die Neige gingen, begann jeder zu fürchten, daß er nicht den ihm gebührenden Teil erhielte, und um
Weitere Kostenlose Bücher