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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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jede Menschenähnlichkeit und sahen wie gejagte und verzweifelte wilde Tiere aus. Ihre Wangen und Nasen waren erfroren gewesen und schwarz geworden. Die Zehen begannen beim ersten oder zweiten Gelenk abzufallen. Jede Bewegung bereitete Schmerzen, aber der Herd war unersättlich und zwang ihre elenden Körper, unglaubliche Leiden zu ertragen.
    Tagein, tagaus forderte das Feuer seine Nahrung, und sie schleppten sich in den Wald und fällten, auf den Knien rutschend, Holz. Als sie einmal herumkrochen und nach trockenen Zweigen suchten, stießen sie in einem Dickicht von zwei Seiten aufeinander. Plötzlich starrten zwei Totenköpfe sich an. Die Leiden hatten sie in dem Maße verwandelt, daß sie sich nicht erkannten. Sie sprangen auf, schrien vor Entsetzen und stürzten auf ihren kranken Füßen fort, und als sie vor der Tür der Hütte zusammenbrachen, rissen und kratzten sie wie Teufel, bis sie ihren Irrtum erkannten.
     
     
    Zuweilen kamen sie zu sich, und in einem dieser klaren Augenblicke teilten sie den Zucker, die Quelle ihres größten Genusses, zu gleichen Teilen unter sich. Jeder bewachte seinen Vorrat mit eifersüchtigen Blicken, denn es waren nur wenige Tassen voll übrig, und keiner traute dem andern. Eines Tages jedoch irrte Cuthfert sich. Kaum imstande, sich zu bewegen, krank vor Schmerzen, mit schwindelndem Kopf und geblendeten Augen kroch er mit der Zuckerdose in der Hand in die Vorratskammer und verwechselte seinen Sack mit dem Weatherbees.
    Dies geschah in den ersten Tagen des Januars. Die Sonne hatte kürzlich ihren tiefsten Stand im Süden passiert und warf jetzt blitzende Streifen gelben Lichts über den nördlichen Himmel. Am darauffolgenden Tage, nachdem Cuthfert sich in den Zuckersäcken geirrt hatte, fühlte er sich an Leib und Seele besser. Als die Mittagszeit sich näherte und der Tag heller wurde, schleppte er sich hinaus, um sich an der schwindenden Glut zu freuen, die ihm ein Pfand für die kommende Sonnenzeit war. Auch Weatherbee fühlte sich besser und kroch neben ihn. Unter der unbeweglichen Wetterfahne setzten sie sich in den Schnee und warteten.
    Die Stille des Todes war um sie. Wenn die Natur andrer Breiten diese Stimmung annimmt, ist die Luft von Erwartung erfüllt, von der Erwartung einer zarten Stimme, die den Faden wieder aufnehmen soll. Nicht so im Norden. Die beiden Männer hatten Ewigkeiten in diesem geisterhaften Frieden gelebt. Sie konnten sich keines Liedes aus der Vergangenheit erinnern; sie konnten kein Lied von der Zukunft beschwören. Diese unirdische Ruhe war immer gewesen – das Schweigen der Ewigkeiten. Ihre Augen richteten sich nach Norden. Ungesehen hinter ihrem Rücken, hinter den ragenden Bergen im Süden, glitt die Sonne an einem andern Himmel als dem ihrigen dem Zenit zu. Als einzige Beschauer des mächtigen Gemäldes betrachteten sie das langsam zunehmende falsche Morgengrauen. Ein schwacher Schimmer begann zu glühen und wieder zu erlöschen. Dann wurde er stärker, ging in Rotgelb, Purpur und Safrangelb über. Er wurde so stark, daß Cuthfert meinte, die Sonne müsse doch – durch ein Wunder – im Norden aufsteigen! Plötzlich, ohne Übergang, wurde der Himmel reingefegt. Kein Farbton war am Himmel.
    Für heute war das Licht erloschen. Mit einem schluchzenden Seufzer schöpften sie Luft. Aber dort! Die Luft flimmerte von glitzernden Reifnadeln und dort, im Norden, zeigten sich die unbestimmten Umrisse der Wetterfahne auf dem Schnee. Ein Schatten! Ein Schatten! Es war genau Mittag. Schnell wandten sie ihre Gesichter gen Süden. Ein goldener Rand sah über die Schneeschulter des Berges hinweg, lächelte sie einen Augenblick an und tauchte dann wieder unter.
    Sie hatten Tränen in den Augen, als sie sich ansahen. Eine seltsame weiche Stimmung überkam sie. Sie fühlten sich unwiderstehlich zueinander hingezogen. Die Sonne kehrte zurück. Morgen kam sie zu ihnen und übermorgen und jeden Tag. Und immer länger sollte ihr Besuch dauern, bis die Zeit kam, da sie Tag und Nacht über den Himmel glitt und nicht ein einziges Mal hinter dem Horizont versank. Es sollte keine Nacht mehr geben. Der eisige Winter sollte gebrochen werden. Der Wind sollte wehen, und die Wälder sollten antworten. Das Land sollte sich im gesegneten Sonnenschein baden und das Leben sich erneuern. Hand in Hand sollten sie dies furchtbare Traumland verlassen und heimwärts ziehen. Blind tasteten sie nacheinander, und ihre Hände begegneten sich – ihre armen, verstümmelten, geschwollenen

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