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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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wirklich existierte, daß in diesem Augenblick dort unten Leben und Bewegung herrschte. Es gab kein Südland, keine von Frauen geborenen Männer, keine Heirat. Hinter dem verschwommenen Horizont erstreckten sich unendliche Einsamkeiten, und hinter ihnen noch unendlichere. Es gab keine sonnigen Länder voller Blütenduft. Das waren nur uralte Träume vom Paradies. Die Sonnenländer des Westens und der würzige Osten, das Lächeln Arkadiens und die gesegneten Inseln der Seligen. – Ha! Ha! sein Lachen sprengte den leeren Raum und erschreckte ihn durch seinen ungewohnten Laut. Es gab keine Sonne. Dies war die Welt, tot, kalt und finster, und er war ihr einziger Bewohner. Weatherbee? In solchen Augenblicken zählte Weatherbee nicht. Er war ein Kaliban, ein schreckliches Phantom, das für unendliche Zeiten, als Strafe für irgendein vergessenes Verbrechen, an ihn gefesselt war.
    Er lebte mit dem Tode unter Toten, bedrückt von dem Gefühl seiner eigenen Bedeutungslosigkeit, zerschmettert durch die überwältigende Macht der schlummernden Zeiten. Die Gewaltigkeit all dessen entsetzte ihn. Alles hier war auf die Spitze getrieben – alles außer ihm selbst: der völlige Stillstand von Wind und Bewegung, die unermeßlichen Weiten der schneebedeckten Wüste, die Höhe des Himmels und die Tiefe des Schweigens. Die Wetterfahne – wenn sie sich nur bewegen wollte!
    Wenn doch ein Donnerkeil herniederfallen oder der Wald in Flammen aufgehen wollte! Wenn doch der Himmel sich mit dem Krachen des Jüngsten Tages öffnen wollte! – Nur irgend etwas! – Irgend etwas! Aber nein, nichts regte sich. Das Schweigen erdrückte ihn, und der Nordlandsschrecken krallte ihm seine eisigen Finger ums Herz. Einmal stieß er, ein neuer Robinson Crusoe, am Ufer des Flusses auf eine Fährte – die schwache Fährte eines Kaninchens in der feinen Schneekruste. Das war eine Offenbarung. Es gab Leben im Nordland. Er wollte ihm folgen, es sehen, es anstarren. Er vergaß ganz seine geschwollenen Muskeln und kämpfte sich in einer Ekstase der Erwartung durch den tiefen Schnee hindurch. Der Wald verschlang ihn, und das kurze Mittagszwielicht verschwand. Aber er setzte seine Nachforschungen fort, bis die erschöpfte Natur ihr Recht forderte und ihn hilflos in den Schnee sinken ließ. Da ächzte er nun, verfluchte seine Torheit und wußte, daß die Fährte nur eine Ausgeburt seiner Phantasie gewesen war; und spätabends schleppte er sich auf Händen und Knien, mit erfrorenen Wangen und seltsam gefühllosen Füßen, wieder in die Hütte. Weatherbee grinste boshaft, bot ihm aber keine Hilfe. Er stach Nadeln in seine Zehen und taute sie am Ofen auf. Eine Woche später hatten sie sich entzündet.
    Aber der Kontorist hatte seine eigenen Sorgen. Die Toten kamen jetzt häufiger als je aus den Gräbern und verließen ihn selten, ob er wach war oder schlief. Es kam so weit, daß er ihr Kommen erwartete und fürchtete und nie ohne ein Schaudern an ihrem Steinhaufen vorbeiging. Eines Nachts kamen sie zu ihm und zogen ihn mit sich hinaus, damit er ihnen bei irgend etwas helfen sollte. In wildem Entsetzen erwachte er zwischen den Steinhaufen und floh außer sich in die Hütte. Aber er mußte eine Zeitlang draußen gelegen haben, denn auch seine Füße und Wangen waren erfroren.
    Zuweilen machte die ständige Anwesenheit der Toten ihn toll, und er tanzte in der Hütte herum, hieb mit einer Axt durch die leere Luft und zerschmetterte alles, was in seinen Bereich kam. Bei diesem Spukkampfe hüllte Cuthfert sich in seine Decke und verfolgte den Verrückten mit gespanntem Revolver, bereit, ihn niederzuschießen, wenn er ihm zu nahe käme. Einmal aber, als Weatherbee nach einem solchen Anfall erwachte, sah er die Waffe auf sich gerichtet. Sein Mißtrauen erwachte, und von jetzt an lebte auch er in Todesfurcht. Jetzt beobachteten sie einander genau, jeder in steter Furcht, dem andern den Rücken zu kehren.
    Ihre Unsicherheit wurde zur fixen Idee, die sie sogar im Schlaf beherrschte. In ihrer gegenseitigen Furcht ließen sie in stillem Einverständnis die ganze Nacht die Tranlampe brennen und versorgten sie reichlich mit Öl, ehe sie sich zur Ruhe begaben. Die geringste Bewegung des einen genügte, um den andern zu wecken, und manche schlaflose Nacht begegneten sich ihre starren Blicke, während die Finger unter der Decke nach dem Drücker suchten.
    Infolge dieser ununterbrochenen Angst, der Spannung, in der sie sich befanden, und der Krankheit, die sie verheerte, verloren sie

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